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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Ein Lob der Verschwendung

Ein Lob der Verschwendung

»Verschwendung« ist eigentlich ein Reizwort. Es gibt wenige Dinge, über die wir uns so sehr und mit so viel Recht ärgern wie über Verschwendung. Tonnenweise Tomaten auf Abfallhalden. Energie, die ohne Sinn und Verstand einfach in die Luft geblasen wird, Wälder, die abgeholzt werden, weil man schnelles Geld damit verdienen kann. Alles das ärgert gewaltig. Hinter diesem Ärger steht die Ahnung, dass uns einmal genau das fehlen könnte, womit jetzt allzu verschwenderisch umgegangen wird: Essen und trinken, sauberes Wasser, die Luft zum Atmen, guter Boden für die Pflanzen.

Was für eine unnütze Verschwendung, sagen auch die Menschen, die mit ansehen, als eine Frau kostbares Duft-Öl über dem Kopf von Jesus ausgießt. Das ist kein aggressiver Akt, ganz im Gegenteil: Ein Zeichen, wie sehr sie diesen Menschen verehrt und dass sie ihm etwas besonders Gutes tun will. Wohlgeruch breitet sich aus. Und gleichzeitig stinkt es einigen gewaltig, die die Verschwendung sehen und im Kopf nachrechen, wie viele Tage man mit diesem Geld den Hungrigen eine Mahlzeit und den Frierenden ein Dach hätte geben können. Also Protest! Das musste nun wirklich nicht sein! Allerdings der, dem dieses kostbare, verschwenderische Geschenk gilt, sieht das anders. Jesus sagt: »Lasst die Frau in Ruhe. Sie hat mir gut getan.« Er hält also ein Plädoyer für die Verschwendung.

Dahinter steckt die Einsicht: Wer nicht nur die Zukunft sichern will, wer Menschen jetzt etwas Gutes tun will, der muss auch einmal seinen Taschenrechner ausschalten und seine Kalkulation weglegen. Sicher: Wer ein Auto kauft, achtet hoffentlich auf sparsamen Spritverbrauch und wenig Abgase. Aber wer einen Menschen liebt, der wird nicht fragen, wie viel Zeit und wie viel Aufmerksamkeit und wie viele Gefühle sich lohnen. Wer bei der Liebe spart oder fragt, wie er seine Mittel effizient einsetzt, der hat sie schon verloren. Wer sie auf kleiner Flamme hält, hat sie schon erstickt. Denn die Liebe zu einem Menschen braucht keine guten Kopfrechner, keine Pfennigfuchser und keine Geizhälse. Sie verträgt nichts anderes, ja nichts anderes als Verschwendung.