Darf’s auch ein bisschen kleiner sein?
Als der Bürgermeister in unserer Nachbargemeinde kürzlich nach 18 Jahren Dienst in den Ruhestand ging, war in den regionalen Zeitungen zu lesen: »Eine Epoche geht zu Ende.« Was ist eine Epoche? Der Duden sagt: »Ein längerer geschichtlicher Abschnitt mit grundlegenden Gemeinsamkeiten.« Ich weiß nicht, ob es passend ist, die 18 Jahre als Bürgermeister im Rathaus einer kleinen Gemeinde einen längeren geschichtlichen Abschnitt zu nennen. Ist doch ein paar Nummern zu groß. Hätte wahrscheinlich der alte Bürgermeister selbst gesagt, wenn man ihn gefragt hätte. Trotzdem: Wenn der neue Bürgermeister den Amtseid leistet, wird man wieder so reden: »Eine neue Epoche beginnt.«
Kaum jemand wird sich über diese unverhältnismäßig großen Worte aufregen. Wir sind halt daran gewöhnt: Wer Aufmerksamkeit erregen will, wählt gerne eine Sprache, die ein paar Nummern zu groß ist. Das zeigt sich in vielen Lebensbereichen. Zum Beispiel im Sport: Ich weiß nicht, wie viele Fußballspiele des Jahres ich in einem Jahr sehe. Oder: Ein junges Jahrhundert-Talent hat inzwischen fast jede Mannschaft, die etwas auf sich hält. Und: Weltmeister im Boxen gibt es wie Sand am Meer.
Wer sich in der Sprache vergreift und die falsche Größe wählt, geht ein Risiko ein: Wenn alles schon so imposant und unvergleichlich groß daher kommt, wie soll man denn dann noch erkennen, wenn wirklich etwas geschieht, was man epochal nennen kann? Oder ein Jahrhundertereignis? Wer Aufmerksamkeit erregen will, wählt gerne eine Sprache, die ein paar Nummern zu groß ist, auch im privaten Bereich. »Du hast mich noch nie verstanden«, sagt er voller Entrüstung. Und übersieht, dass es noch keinen Tag her ist, als sie aufs Display des Telefons schaute, und sagte: »Es ist deine Mutter. Ich glaub, ich geh mal dran.« Und er, danach, augenzwinkernd: »Du verstehst mich.«
Allzu große Worte sind nicht nur unpassend, sondern häufig auch ungerecht, weil sie unsensibel sind. Weil sie die Feinheiten und die Details, weil sie die kleinen Dinge, auf die es im Leben ankommt, großspurig übersehen und übertönen. Also: Darf’s auch ein bisschen kleiner sein?