Beten, bis der Lift kommt
Ich stehe an einer roten Ampel und bin genervt. Noch ist es früh am Morgen, aber ich bin bereits in Verzug mit meinem Zeitplan. Am liebsten würde ich einfach durchfahren. Aber das geht natürlich nicht - und von grüner Welle keine Spur. Eine rote Ampel nach der anderen und jetzt kommt auch noch eine Straßenbahn, die Vorfahrt hat. Die Rotphase für meine Spur wird nochmals länger. Halleluja, der Tag geht gut los!
An jedem ganz normalen Tag gibt es Leerlaufzeiten, die lästig und nervig sind: Man wartet auf den Lift. Eigentlich braucht man nur eine kurze Auskunft, die sich mit einem schnellen Anruf klären ließe. Doch schnell und kurz geht gar nicht, denn man ist wieder einmal in einer telefonischen Endloswarteschleife gelandet. Im Supermarkt hat man die Kasse erwischt, bei der es am längsten dauert. Der Routinearztbesuch in der Mittagspause zieht sich in die Länge, weil man im Wartezimmer einen kleinen Vorgeschmack auf die Ewigkeit bekommt.
Was tun in solchen Zeiten, die scheinbar nutzlos sind? Eine Seelsorgerin in einem großen Krankenhaus erzählte mir: „Immer wenn ich auf den Lift warte, bete ich eine Runde. Ich denke an die Patienten, die ich besuche, und schließe sie still in mein Gebet ein.“ Beten, bis der Lift kommt oder bis die Ampel grün wird - warum eigentlich nicht? Die alltäglichen Wartezeiten werden durch Genervtsein nicht kürzer. Sie sind Gelegenheit, um denen gute Gedanken zu schicken, die Unterstützung gebrauchen können: der Freundin, die Lampenfieber vor einem Bewerbungsgespräch hat, dem Kollegen mit einer ernsten Diagnose oder dem Kind, das gerade einen schweren Stand in der Schulklasse hat.
Es hilft so viel, wenn einer sagt: Ich denke an dich. Beten ist ähnlich: Ich denke an den anderen. Ich bitte Gott, er möge ein Auge auf ihn oder sie haben. Beim Beten bin ich in Verbindung mit Gott und mit anderen Menschen. Heute gibt es bestimmt Momente vor dem Lift, in der Schlange vor der Kasse oder an der Ampel, um an andere zu denken, die gute Gedanken brauchen können. Wunderbar sinnvolle Wartezeiten, um das eine oder andere Gebet loszuschicken.