"Alle Menschen sind Künstler"
Heute, na endlich, ist der kalendarische Sommeranfang. Am 21. Juni lässt aber noch etwas ganz anderes die Herzen ungezählter Menschen an vielen Orten höher schlagen: Seit über dreißig Jahren findet am 21.6. die „Fête de la Musique“ statt, ein globales Fest der Musik. Im letzten Jahr waren es weltweit schon 340 Städte, in denen an diesem Tag öffentlich und kostenlos Musik gemacht wird. Das besondere dabei ist, dass es selbstgemachte Musik ist. Da werden keine CDs aufgelegt oder mp3-Player aktiviert. Profimusiker, vor allem aber Amateure treffen sich und spielen miteinander aus Freude an der Musik, aus Lust am Spiel, neugierig auf ungewohnte Klangerfahrungen – jenseits der Opern- und Konzertsäle.
Ich habe unwillkürlich an den berühmten Satz von Joseph Beuys gedacht: „Jeder Mensch ist ein Künstler!“ Zwei Jahre vor seinem Tod hat Beuys in einem Interview1 gesagt, dass künstlerische Fähigkeiten jeder Mensch in sich trägt – nicht nur die, die wir Künstler nennen. „Jeder Mensch ist ein Künstler“ – so ähnlich hat das bereits 200 Jahre vor Beuys ein anderer behauptet: Der Theologe Friedrich Schleiermacher wusste, dass „alle Menschen Künstler“ sind, ja, dass die Kunst eine ganz ursprüngliche Tätigkeit des Menschen ist. Erst, wer künstlerisch tätig ist, findet zu sich selbst. Und neben der Wissenschaft sind es die Religion und eben die Kunst, die die Welt erschließen.
Alle Menschen sind Künstler! Was da heute stattfindet in vielen deutschen Städten und anderen weltweit, nimmt das wörtlich. Zum Beispiel in Weilburg an der Lahn. Da hat man letztes Jahr mit der Fête de la Musique begonnen. 120 aktive Musikerinnen und Musiker hatten ihr Programm an ungewohnten Orten vorgestellt. Auch heute zwischen 16 und 21 Uhr wird es Musik im Hof der Stadtbücherei geben und auf dem Marktplatz, aber auch beim Reisebüro Medenbach, am Weltladen auf dem Pankgrafenplatz und an vielen anderen Stellen. Und das alles gratis, weil Solisten und Chöre, Bands und Ensembles an diesem Tag ohne Honorar musizieren.
Mich begeistert so etwas: selbstgemachte Musik, die sich auch jenseits der professionellen Musikszene Gehör verschafft. Mich begeistert das, weil ich glaube, dass in solcher Musik Gelingen und Scheitern erlebt werden können. Es ist wie das Leben selbst, in konzentrierter Form: wer musiziert, bereitet sich vor, tritt auf, lässt andere teilhaben an seinem Ausdruck – und tritt dann mit der Hoffnung auf Applaus wieder ab von der Bühne. Wer sich so selbst als Künstlerin oder Künstler erlebt, wird mehr von dem verstehen, was das Leben ausmacht: das Glück und seine Grenzen.