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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Wir wissen nicht, wo er liegt

Wir wissen nicht, wo er liegt

Es ist ein Hilferuf, der mich anrührt. Ich stoße auf ihn in einem Weblog im Internet. Ein offensichtlich noch sehr junger Mann schreibt da: "Ich hab echt eine wichtige Frage. Also mein Opa ist vor vier Jahren anonym begraben worden. Wir wissen nicht, wo. Seitdem hat meine Schwester schwere Depressionen. Sie will gerne da hin, um Abschied nehmen zu können. Deshalb meine Frage: Kann man an Informationen kommen, wo jemand liegt? Ich kann meine Schwester nicht mehr länger so sehn, das macht mich auch kaputt."

Ich weiß nicht, ob der Großvater selbst anonym bestattet werden wollte.  Möglicherweise war das so. Spricht ja auch manches dafür. "Ich will meinen Nachkommen keine Mühe machen", sagt mir eine ältere Frau. "Zumal die im ganzen Land verstreut leben. Da ist es ja gar nicht zumutbar, dass die hierher kommen und mein Grab pflegen." Und ein Mann, hoch in den 80: "Ich will, dass von mir nichts bleibt." Kann einem vorkommen wie eine selbstlose Haltung: Ja keinem anderen Menschen Mühe machen. Einfach sterben - und keine Spuren hinterlassen. Wer das Gefühl hat, dass das Alter und die Alten der Gesellschaft offensichtlich nur Probleme machen: Zu teuer für die Krankenkassen, zu wenig Pflegepersonal, die Renten bald nicht mehr bezahlbar, der kann auf solche Ideen kommen: "Ich bin ohnehin längst überflüssig. Deshalb sterben und verschwinden."

Aber ich nehme den Hilferuf des Enkels ernst: "Wir wollen wissen, wo er liegt. Wir wollen Abschied nehmen". Dann geht es aber nicht mehr zuerst darum, ob man seinen Kindern und Enkeln zumuten will, ein Grab zu pflegen. Es geht viel mehr darum, ob man ihnen die Möglichkeit lässt, einen Platz zu haben, an dem Abschied genommen werden kann. Und an dem Menschen sich an jemanden erinnern können, der in ihrem Leben wichtig war und auch dann wichtig bleibt, wenn er nicht mehr da ist.

Ich glaube, dass von uns etwas bleibt, trotz des Todes. Namen auf Grabsteinen und frische Blumen auf Gräbern sind nicht zuletzt auch Zeichen für diesen Glauben.