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Kristen, Dr. Peter

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

Wertschätzung

Wertschätzung

Vor ein paar Tagen wäre Carl Rogers 100 Jahre alt geworden. Er war ein amerikanischer Psychologe, der einen Begriff geprägt hat, der mir in meiner Arbeit als Schulseelsorger wichtig ist: Wertschätzung.

Im Gespräch mit Jugendlichen, Eltern oder Kollegen zeigt sich Wertschätzung in einer besonderen Behutsamkeit. Rogers sagt: Bedingungsfreie Wertschätzung, das heißt den Menschen so zu sehen, wie er eigentlich gemeint ist: Verletzlich, aber auch ausgestattet mit vielen Chancen, sich zum Guten zu entwickeln.

Wertschätzend zuhören, das ist so, als würde ich ein Paket mit wertvollem, dünnem Glas auspacken, sagt Carl Rogers. Ein tolles Bild für gutes Zuhören, finde ich, weil ich selbst einmal Glas ausgepackt habe.

Meine Frau hatte eine Zeitlang in Israel gelebt. Aus Jerusalem hat sie uns damals ein Paket mit mundgeblasenen, zarten Glasgefäßen nach Hause geschickt. Zerbrechliche Mitbringsel, die sie im Flugzeug nicht transportieren konnte.

Beim Auspacken war ich schon gespannt, was da aus diesem auffällig leichten Paket zutage kam. Ich wusste nicht, was und wie viel, nur, dass es vorsichtig zu behandeln war und wertvoll ist.

Vorsichtig hab ich das Seidenpapier um einige Stücke aufgefaltet und die dünnwandigen Väschen und Flakons darin sorgsam zu Seite gestellt.

Wertschätzend zuhören, das ist dieselbe Aufgabe, sagt Rogers. Auspacken und staunen, was da von Gegenüber zutage kommt: Wünsche und Sorgen, Chancen und Kräfte.

Es gibt allerdings einen Unterschied: In dem Paket aus Jerusalem damals war nur Schönes, nichts Störendes. In einem Gespräch geht es dagegen oft um einen Streit, darum, dass jemand einem anderen wehgetan hat, um Gemeinheiten. Da ist gutes Zuhören schwer.

Was kann ich da machen? Dann versuche ich das, was Carl Rogers so ausgedrückt hat: Ich unterscheide zwischen der Person selbst und dem, was sie tut. Übrigens eine uralte christliche Tradition.

Der Person sage ich: Du bist in Ordnung, so wie du bist, und zugleich: Das, was du getan hast, gefällt mir nicht. Die Person selbst erfährt weiter meine Wertschätzung, manches, was sie getan hat, dagegen nicht.

Und so was könnte auch zwischen Eltern und Kindern funktionieren. Eltern können in einem Gespräch ihre Kinder bedingungslos wert schätzen und sie zugleich tadeln und ihnen Grenzen setzen, wo das notwendig ist.

Wertschätzung sieht den Menschen so, wie er gemeint ist, verletzlich, aber auch voller Chancen, sich zum Guten zu entwickeln.