Weizenkörner
Jedes Jahr zur Erntezeit liegen sie an derselben Kreuzung: Weizenkörner, die von den Erntelastern herunterfallen, wenn sie eine scharfe Kurve nehmen. Einige sind auch auf den Radweg gefallen und ich hab angehalten und ein paar aufgehoben. Fest fühlen sie sich an und glatt. Eigentlich schade, dass der Weizen so auf dem Boden liegt, hab ich gedacht, wie viel Mehl das wohl werden könnte?
Auf die paar Körner kommt es nicht an, in Deutschland wird ja auch in diesem Jahr gut geerntet, anders als in Osteuropa oder auch in den USA, wo die Dürre die Erträge schmälert – und die Preise in die Höhe treibt. Da schlägt das Gesetz von Angebot und Nachfrage auch bei Lebensmitteln gnadenlos zu. Kleines Angebot, hohe Preise. Dazu kommt, dass immer mehr Nahrungsmittel zweckentfremdet werden, als Tierfutter oder Biosprit. Für Millionen Menschen auf der Welt wird so unerschwinglich, was sie dringend zum Leben brauchen. Sie hungern.
An der Börse wird längst auch mit Reis, Mais und Weizen spekuliert. Das treibt die Preise in die Höhe. Erst kürzlich hat eine Großbank eine Firma aufgekauft, die riesige Lagerhäuser unterhält. So kann sie jetzt ungeheure Warenmengen horten und so die Preise beeinflussen.
So etwas ist keineswegs neu. Jesus erzählt von einem Bauern, der einfach nicht genügend Platz hat, um seine gute Ernte zu lagern, alle seine Scheunen sind voll. Also reißt er sie ab und baut größere. Die großen, vollen Scheunen sichern ihm entweder sein Auskommen auf lange Zeit, oder sie geben ihm die Chance, den Weizen zu höheren Preisen zu verkaufen, wenn ein geringeres Angebot die Preise hat steigen lassen.
„Clever“, würde jeder gute Ökonom heute sagen, „er hat verstanden, wie der Markt funktioniert.“ Aber Gott sagt zum Bauern: „Du Narr! In dieser Nacht fordern sie dein Leben von Dir, wem wird dann gehören, was du gesammelt hast?“ (Lk 12,16-21)
Um bei Gott reich zu sein, ist es nicht genug, größere Scheuen zu bauen und Waren anzuhäufen. Wer reich ernten konnte, der hat auch Verantwortung für die, die weniger haben und auch leben sollen. Wo der Markt gewinnt, verliert oft die Gerechtigkeit.
Die Weizenkörner von Fahrradweg hab ich eingesteckt. Ich will sie an meine Schüler verteilen und mit ihnen darüber reden, wie Weizen wenige reich und viele ärmer machen kann.