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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Was wir mit den Toten gemeinsam haben

Was wir mit den Toten gemeinsam haben

Schon als Kind hat mich ein kleines Schild fasziniert, das auf unserem Friedhof gleich neben dem Eingang hing - und auch nach 50 Jahren noch dort hängt. Es kommt mir vor wie eine spezielle Art der Begrüßung. Dort kann man lesen:

"Was ihr seid, das waren wir,
was wir sind, das werdet ihr."


Also, die Menschen, die hier begraben sind, begrüßen die Lebenden, indem sie ihnen sagen: "Kommt nur näher. Keine Furcht. Ihr glaubt zwar, dass es der größte Graben ist und die Grenze, die am deutlichsten trennt, die zwischen den Lebenden und den Toten. Aber glaubt es uns: Wir sind euch näher, als ihr denkt! Und wir wissen, wovon wir reden."

"Was ihr seid, das waren wir", sagen uns diejenigen, die hier begraben lieben. Wir haben eine gemeinsame Lebensgeschichte. Die Bilder, die davon zeugen, hängen noch an den Wänden. Was wir gemeinsam erlebt und erfahren haben, ist noch ganz frisch in der Erinnerung. Alles das bleibt uns erhalten und verbindet uns weiterhin.

Und sie sagen: "was wir sind, das werdet ihr." Nicht nur das, was war, verbindet uns. Sondern auch das, was kommt. "Ihr werdet", sagen sie, "auch einmal hier liegen. Oder woanders unter der Erde. Unweigerlich." Das ist nicht gerade eine verlockende Botschaft. Aber es ist so. Auch realistische Schreiber der Bibel sehen das ein: Wir sind nicht mehr als Gras, das wächst und grün wird, und im Herbst welkt und abstirbt. Aber unsere gemeinsame Zukunft geht weiter. Und auch diese Sätze versuche ich - trotz allem Zweifel - nachzusprechen: Trotzdem habe ich eine Zukunft bei Gott. Das ist es, was uns Lebende mit denen verbindet, die auf unseren Friedhöfen liegen: Wir haben mit ihnen eine gemeinsame Zukunft bei Gott. Wie die aussieht, weiß keiner. Wenn wir sie uns ausmalen, dürfen wir nicht vergessen, dass wir wie die Blinden von der Farbe reden. Also lassen wirs - neugierig und hoffnungsvoll - einfach auf uns zukommen.