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Wildfang, Christoph

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain

Starke Bilder vom schwachen Ex-Kanzler

Starke Bilder vom schwachen Ex-Kanzler

Ich finde es gut, dass sich Helmut Kohl nicht versteckt und auch nicht versteckt wird. Er sieht nicht mehr so aus, wie man sich einen Staatsmann vorstellt. Sondern gebrechlich, hilfsbedürftig. Helmut Kohl, der „Ehrenbürger Europas“ sitzt im Rollstuhl. Er kann kaum sprechen, und wenn, dann anders als früher. Er kommt nicht stolzen Schrittes in den Saal, sondern wird geschoben.

Die Bilder von Helmut Kohl jetzt bei den Feierlichkeiten erinnern mich an den gebrechlichen Papst Johannes Paul II. Und auch an den Schauspieler Michael J. Fox, der Parkinson hat. Und an die Bilder der Paralympics in London vor kurzem – mit ganz besonderen Menschen. Das alles sind für mich Bilder gegen den Hang, nur von perfekten, strahlenden Menschen zu zeigen. Als ob es Krankheit, Alter und Schwäche nicht geben dürfe. Krankheit, gesundheitliche Krisen, Nicht-Perfektsein gehören aber zum Leben dazu. Menschen wie Kohl oder Johannes Paul II zeigen durch ihre Gegenwart, dass Menschen, die schwach und krank sind, zum Alltag dazugehören. Dass sie in die Öffentlichkeit gehören, nicht bemitleidet, sondern ganz selbstverständlich. Solche Bilder machen mir Mut, dass niemand versteckt wird, weil er alt und krank ist. Sie wirken stärker als wohlmeinende Reden.

Aber: Gibt es eine Grenze, wenn Menschen, die verändert aussehen und anders reden, öffentlich auftreten? Ich finde es wichtig, dass man das selbst bestimmt und nicht von anderen vorgeführt wird. Natürlich mach ich mir Gedanken, wie das für mich wäre, falls es mir mal so gehen sollte. Mir machen die Bilder von Helmut Kohl Mut. Ich erfahre, dass ich auch dazu gehöre, falls ich eines Tages schwach bin. Dass ich Schwäche zeigen kann, das gehört für mich zum christlichen Menschenbild dazu. Ich muss nicht perfekt sein. Menschsein ist vielfältig. Keiner muss perfekt erscheinen. Ich bin und bleibe wertvoll in Gottes Augen, egal was ich noch leisten oder sagen oder machen kann. Und hoffentlich auch in den Augen von vielen Menschen. Ich bin geschätzt, so wie ich bin. Für mich sind deshalb die Bilder vom schwachen Kanzler starke Bilder.