Sanftmut, ein aussterbendes Wort?
Seit längerem gibt es eine Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten. Wo die Menschen die Natur ausschlachten wie ein altes Auto, bleiben viele Tierarten auf der Strecke, weil ihnen der Lebensraum genommen wird. Das ist schlimm. Neuerdings gibt es aber auch eine Liste der Wörter, die vom Aussterben bedroht sind. Wo Wörter nicht mehr gebraucht werden, weil sie unmodern geworden sind oder die Zeit einfach über sie hinweg geht, wird unsere Sprache ärmer. Das ist ebenfalls schlimm.
Auf meiner Liste der bedrohten Wörter steht ganz oben das Wort: Sanftmut. Und ich kann mir gut vorstellen, warum Sanftmut aus dem Repertoire unserer Alltagssprache praktisch verschwunden ist. Dieses Wort scheint irgendwie ein Widerspruch in sich selbst zu sein. Sanft, das hat doch etwas zu tun mit weich, zart, eher zurückhaltend, nachsichtig, verständnisvoll. Im Gegensatz dazu ist Mut eher hart und offensiv. Wer mutig ist, lässt sich nicht aufhalten, vermag sich oder sein Anliegen durchzusetzen, scheut keinen Konflikt. Und nun behauptet dieses Wort: Es gibt oder gab zumindest einen sanften Mut, oder den Mut, sanft zu sein. Einen Mut, sich nicht mit Macht durchzusetzen, oder hart und offensiv die Kämpfe des Lebens zu bestehen. Sondern zu verstehen, statt sein Recht zu behaupten. Nachsicht zu üben, statt Prinzipien durchzusetzen. Leise aufzutreten, statt viel Lärm zu machen.
Eigentlich müsste man erwarten, dass es heißt: Der Sanftmut. Falsch. Die Sanftmut - als ob die deutsche Sprache über die Zeiten hinweg ein Gefühl dafür hatte, dass es sich hier um eine eher weibliche Form des Mutes handelt. Nicht Rüstung und Waffen sind seine Kennzeichen, sondern ein großes und weiches Herz für andere Menschen.
Heute ist Buß- und Bettag. Immer ein Anlass, zu überlegen, wo Umkehr nötig ist. Für mich heißt das in diesem Jahr: Sanftmut ist wieder angesagt. Bei Frauen und Männern. Denn gegen allen Augenschein behauptet Jesus in einer seiner Seligpreisungen: \"Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.\" Die Welt wird schließlich nicht von denen beherrscht werden, die die Kriege gewinnen. Sie wird denen gehören, die leise auftreten.