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Kristen, Dr. Peter

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

Präsidentschaftswahl ohne Religion

Präsidentschaftswahl ohne Religion

Heute wählt Amerika einen der mächtigsten Männer der Welt, seinen Präsidenten. Die Menschen in den USA reden normalerweise viel offener über ihren Glauben als das bei uns üblich ist, auch Präsidentschaftskandidaten. Aber dieses Mal war es im Wahlkampf merkwürdig still um die Religion. Offenbar hat sich weder der Protestant Barak Obama, noch der Mormone Mitt Romney vom Thema Religion einen Vorteil versprochen.

Nicht nur wegen des Sturms Sandy scheint vielen Amerikanern das Wasser bis zum Hals zu stehen: Arbeitslosigkeit, Immobilienkrise, marode Infrastruktur. Die ökonomischen Probleme drängen sich rücksichtslos vor. Religiöse Fragen scheinen zum Luxus geworden zu sein oder ein Minenfeld, wie einer der Berater Obamas gesagt hat. Hinter dem Notstand, den der Sturm hervorgerufen hat, wird ein anderer sichtbar: In den USA besitzt ein Prozent der Menschen etwa ein Drittel des gesamten Wohlstandes.

Auch im Bereich der Kirchen hat man sich daran gewöhnt, dass die soziale Schere weit auseinandergeht. Die über 300 Denominationen haben viele bettelarme, oft schwarze Gemeinden und wenige sehr reiche, meist weiße. Der Pfarrer und Bürgerrechtler Martin Luther King hat den American Dream anders beschrieben. Seinen Traum kann man nicht alleine träumen. Das wichtigste, sagt er sind Gleichheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit.

Was Obama und Romney wohl davon halten? Barak Obama hätte vielleicht betont, dass er eine Krankenversicherung für alle gegen großen Widerstand durchsetzen konnte. Der Mormone Romney, hätte wohl gesagt, dass jeder junge Amerikaner, wie er selbst, mit Fleiß, Moral und Ordnung erfolgreich sein kann und damit auch Gott näher kommt. Die Menschen, die heute in Amerika zur Wahl gehen, haben andere Sorgen: Sie scheinen ganz privat mit ihrem American Dream beschäftigt zu sein: Studenten wünschen sich später ein Arbeitsplatz, und für eine Rentnerin am Strand von Florida ist es wichtig, dass sie ihre gute Rente auch morgen noch hat.

Für mich ist das ein Alarmsignal. Wenn die Menschen ihren Blick für die verändernde Kraft der Religion verlieren und ihre politischen Entscheidungen vor allem nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten treffen, dann verlieren sie ein wichtiges Fundament in ihrem Leben. Woher erwarten sie dann aber die Kraft zur Veränderung? Zum Glück ist das bei uns ja anders, oder?