Nägel bis Mitternacht
Schmitten, da wo ich im Taunus lebe, hat seinen Ortsnamen von Schmiede. Also, da wurde früher viel geschmiedet. Was? Nägel. Schmitten hatte viele Nagelschmieden. Ganz viele kleine Werkstätten in Kellern und kleinen Anbauten, wo Menschen Nägel fabriziert haben. Oft nach ihrer eigentlichen Arbeit. Nach Feierabend, tagaus, tagein bis kurz vor Mitternacht. Und wenn sie dann kleine Nägel für Webstühle oder große Nägel fertig geschmiedet hatten, dann gings zu Fuß über den Sandplacken nach Frankfurt. In der Kiepe die gefertigten Nägel. In der Hoffnung auf einen guten Preis.
Ein harter Beruf. Oft musste die ganze Familie mithelfen. Landwirtschaft war schwierig bei dem hügeligen Gelände, die Witterung oft recht wild und so ein Heimarbeitjob die einzige Verdienstmöglichkeit. Bei Wind und Wetter, auch im Winter ging’s dann eben in die Großstadt, stundenlang zu Fuß. Heute ist nur noch der Name „Schmitten“ geblieben und einige Nägel im Museum. Einen alten Super-Acht-Film darüber gibt´s auch noch, aber nicht mehr viele Menschen, die das Handwerk noch beherrschen. Wahrscheinlich kann sich heute kaum einer mehr handgeschmiedete Nägel vorstellen. Es war wenig romantisch, der Lohn karg und manchmal gab´s gar nichts. Oder die Schmiede erlagen auch mal den Verlockungen der Großstadt und brachten zu wenig Verdienst nach Hause. Ich denke an dieses karge Leben, wo heute viele schmucke Häuser stehen. Man hört nichts hämmern, höchstens Holz spalten. Ich denke dabei aber auch an Menschen heute, die ein karges Leben vor sich haben. Die es hart im Beruf haben oder gefeuert wurden. Wie tausende Frauen bei „Schlecker“ grad. Für ein paar gab es Urlaubsvertretungen oder Praktika, einige werden vielleicht bei den Konkurrenten unterkommen.
Viele hundert werden in die Röhre gucken. Vielleicht werden sie nun auch, wie in Schmitten vor hundert Jahren, Heimarbeit machen müssen. Sich irgendwie durchbringen. Die letzten beißen die Hunde. Durchbeißen ist angesagt, wie eben vor 100 Jahren – ein hartes Brot! Manche, die noch können, lehnen sich auf. Viele werden schweigsam in den Arbeitsagenturen sitzen. Ihre Unsicherheit und Angst wird ähnlich sein wie bei den Menschen in Schmitten damals.