Mit Latein die Zukunft meistern?
Ein bisschen hat es mir bei dieser Zeitungsmeldung schon die Sprache verschlagen: immer mehr Gymnasiastinnen und Gymnasiasten lernen Latein. Wie bitte? Latein? War das nicht als sogenannte tote Sprache längst schon zu Grabe getragen worden? Zusammen mit dem noch älteren Griechisch in die Mottenkiste gelegt zugunsten wichtigerer, vitaler Sprachen wie Spanisch, Russisch und neuerdings Chinesisch?
Und jetzt sagt das Statistische Bundesamt, dass die Zahl der Kinder, die Latein lernen, seit Jahren kontinuierlich ansteigt und dass inzwischen schon jeder zehnte deutsche Gymnasiast Latein als Fremdsprache gewählt hat. Wollen die alle Apotheker oder Ärztinnen werden, oder gar Pfarrer?
Ich finde es gut, dass Latein wieder im Kommen ist. Nicht weil ich gehässig wäre und darum will, dass die Kinder genauso büffeln müssen wie ich damals. Es gibt vor allem ein Argument, das für mich die Mühe lohnend macht. Wer Latein lernt und so in die Geschichte und Vorstellungen der Antike eintaucht, erfährt etwas über die Wurzeln, aus denen auch unsere Welt hervorgegangen ist. Es gibt auch noch andere Wurzeln, keine Frage. Aber das abendländische Denken und Empfinden ist ohne den Geist der Römer nicht vorstellbar. Und diese Geschichte zu kennen, hilft uns heute zu leben.
Natürlich geht das nicht so unmittelbar mit der Geschichte. Und auch das Lateinische ist vielleicht nicht direkt verwertbar. Richard von Weizsäcker, der frühere Bundespräsident, hat einmal gesagt: „Man lernt aus der Geschichte nicht, was man tun soll, aber man kann aus ihr lernen, was man bedenken muss!
Meiner Ansicht nach ist das auch ein zentraler Aspekt bei der Religion: Religionen pflegen die Glaubensgeschichte vieler Generationen. Wer sich damit befasst, wird nicht eins zu eins erfahren, was er zu tun oder zu lassen hat. Aber was es zu bedenken gilt, um sich heute zu orientieren, das kann man aus dieser Geschichte lernen.
Jeder zehnte Gymnasiast entscheidet sich schon für Latein als Fremdsprache. Vielleicht sind manche durch die intensive Asterix-Lektüre dazu motiviert worden, andere wollten vielleicht bloß die lateinischen Zaubersprüche von Harry Potter verstehen – ich habe die Hoffnung, dass sie dabei lernen, woher wir kommen. Und dadurch bedenken können, worauf es in der Zukunft ankommt.