Kniefall
Heute ist der Geburtstag von Willy Brandt. Vor 20 Jahren ist er gestorben. Was bleibt, ist auch sein Kniefall. In Warschau, da, wo das Ghetto der Juden war. Erst legte er protokollgemäß einen Kranz als Bundeskanzler nieder. Andere trugen das Gebinde an den richtigen Ort, Brandt zupfte die schwarz-rot-goldene Schleife noch einmal richtig. Und dann sank er auf die Knie. Ohne Kniebank, nicht auf ein Polster, einfach auf den nackten Stein. Es scheint, dass niemand aus seinem Umfeld das vorher gewusst hat. Vielleicht wusste er es am Morgen des Tages selbst nicht mal. Die vielen anwesenden Foto- und Filmjournalisten machten hunderte Aufnahmen vom deutschen Kanzler auf den Knien.
In Deutschland, als die Nachricht sich herumsprach, mochten das viele gar nicht glauben. Er hat gekniet? Tatsächlich? Noch heute beeindruckt mich Brandts Kniefall. Damals waren mit der polnischen Staatsführung Worte genug gewechselt. Es war eine frostige Atmosphäre, bitter durch die langen Schatten der belastenden Geschichte zweier Völker im Streit. Vielleicht hätte Brandt etwas anders machen können. Eine eloquente Rede halten können, etwas Besonderes eröffnen können. Aber er kniete. Wohl ziemlich spontan. Manchmal sagt das Bauchgefühl, was richtig ist und was nicht. Manchmal sind viele Worte überflüssig, und eine Geste sagt alles, ohne ein Wort.
Auch später hat Brandt über seinen Kniefall nicht viel geredet, und kaum einer wagte ihn danach zu fragen. Die richtige Geste zur rechten Zeit. Es kann für mich die ausgestreckte Hand sein. Oder eine Segensgeste. Ein wortloses unverdientes Lächeln. Eine stumme Umarmung. Oder ein Kniefall wegen Schuld und Scham. Eine bemerkenswerte Geste gerade in der Adventszeit. Zeichen von Umkehr und Buße. Vielleicht kann ich die Geste auch mit einem Brief ausdrücken an jemanden, den ich in diesem Jahr verletzt habe, wo ich jemandem Unrecht getan habe und mit dem ich noch etwas klären muss. Oder eine mir passende andere Geste wählen. Zur Umkehr brauche ich auch ganz schön viel Mut. Willy Brandt hat den gehabt.