hr1 ZUSPRUCH
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Wildfang, Christoph

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain

Kerze auf Tour

Kerze auf Tour

Als ich einen Advent lang in Indien war, da fehlte mir der Adventskranz. In einem mehrheitlich hinduistischen und islamischen Umfeld fand ich keinen. Auch die Fichte oder Tanne war Mangelware, da, wo ich in Indien lebte. Und binden konnte ich auch keinen aus den anderen Zweigen, die ich sah. Ich schaute mich in meinem Zimmer um und fand nur die eine Notfall-Kerze. Die eine Kerze, die in jedem Zimmer ist, wenn der Strom ausfällt. Und der fällt recht oft aus. Dann: ein Griff in die richtige Ecke in Dunkelheit, die Streichhölzer dazu und man hat wenigstens Licht. Als ich einzog, war die Kerze im Zimmer schon halb abgebrannt, auch keine schöne Kerze. Weil ich gerne einen eigenen Adventskranz in meinem schlichten Zimmer haben wollte, malte ich mir in diesem besonderen Advent einen.

Einen Adventskranz. Grün hatte ich nicht, also malte ich mit zwei Kulis blaue und schwarze Fichtenzweige auf ein größeres Stück Pappe. Ich zeichnete einen einigermaßen kreativen Fichtenkranz mit 24 Stationen. Also, wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht, eben Zahlen von 1 – 24 mit einem kleinen Kreis umfasst, so dass ich meine einzige Kerze immer ein Stückchen weiter setzen konnte. Eine Mischung aus Adventskranz und Adventskalender. Dann nahm ich mir jeden Abend etwas Zeit. Ich entzündete die Kerze, rutschte sie auf ihr jeweiliges Datum auf dem Pappkranz und meditierte mein Kunstwerk. Nicht zu lange, um Kerzenwachs zu sparen. Oft kamen Hindus, Muslime und auch indische Christen hinzu. Sie beschauten meinen seltsamen Kranz und fragten mich aus: Warum, wieso, was das meinen würde.

Bald danach bekam mein Adventskranz indische Updates geschenkt: Eine brachte einen grünen Buntstift mit und wir malten gemeinsam einen Abend den Kranz grün. Einer schenkte mir grünes Gewürz, wir drapierten es kunstvoll auf die Pappe. Tags drauf folgten fünf grüne Blinklichter, sechs grüne funkelnde Glasscherben, drei grüne Luftballons und ein bisschen grüner Stoff von einem zerschlissenen Sari mit ein bisschen goldenem Glitter noch. Dann saßen wir da, betrachteten die blinkenden grünen Lichter, den kreativ gewachsenen Kranz. Während die eine, immer kürzer werdende Kerze, ihre kleine Runde zog, erzählten wir, beteten und sangen in unterschiedlichen Sprachen. Daran denke ich auch heute noch, wenn ich meinen Adventskranz betrachte.