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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Frankfurt

Jahreslosung 2012: Die Kraft der Schwachen

Jahreslosung 2012: Die Kraft der Schwachen

Bevor ein neues Jahr beginnt, kriegt es eine eigene neue Überschrift. Zumindest bei Deutschlands Protestanten. Eine Überschrift – etwa so, als wäre dieses Jahr ein Aufsatz, den es jetzt zu schreiben gilt. Eigentlich keine schlechte Sache, die vor uns liegenden Tage, Wochen und Monate mal anzuschauen wie ein leeres Heft, in das wir nun unser Leben einschreiben können.

Natürlich hat auch dieses Jahr eine eigene Überschrift bekommen als Motto, einen Vers aus dem Neuen Testament. Es ist ein Satz von Jesus, der sagt: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ 1
Diese „Jahreslosung“ für 2012 ist ein sperriger Satz und klingt wie ein Widerspruch in sich. Dass ausgerechnet die Schwachen Kraft haben sollen – das stellt auf den ersten Blick ziemlich alles auf den Kopf, was wir an Erfahrungen haben. Ein weltfremder Jesussatz?

Obwohl - mir fallen dann doch Geschichten ein, wo es so oder so ähnlich war, dass die Schwachen die größere Kraft hatten. 1989 etwa – als mit flackernden Kerzen und leisen Gebeten Mauern überwunden wurden. Ist so etwas damit gemeint? Oder wenn ich an das Leben von Mahatma Gandhi denke, der völlig schwach und wehrlos auf Sandalen daher kam und doch die britischen Kolonialherren mit ihren Soldaten aus Indien vertreiben konnte. Und natürlich Jesus selbst, der nicht auf Gewalt oder Rache setzte, sondern die Menschen liebte und selbst seinen Feinden verziehen hat. Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig – was Jesus da sagt, erinnert daran, dass er für eine ungeheure Kraft steht, die äußerlich schwachen Menschen Macht verleiht.

Aber der Satz gilt natürlich auch für weniger prominente Menschen. Das ältere Ehepaar, das sich dafür entscheidet, die alte Mutter zu sich in die Wohnung zu holen, weil die nach einem Schlaganfall nicht mehr für sich sorgen kann. Woher soll die Kraft für die Pflege und Fürsorge kommen? Der Jugendliche, der vergeblich drauf wartet, von den anderen anerkannt zu werden. Wer stärkt ihm den Rücken? Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Das ist die Überschrift für das Neue Jahr. Jetzt können wir anfangen, die leeren Seiten zu beschreiben. Und schauen, was uns stark macht.