Glück wird überschätzt!
Wilhelm Schmid ist Philosoph und wird allgemein als der Experte für die Kunst des Lebens anerkannt. Umso erstaunlicher, dass er kürzlich öffentlich mitteilt, man solle nicht zuviel vom Glück im Leben erwarten. Und dann wörtlich: "Aber, Sie wissen ja. Glück wird überschätzt." Und Wilhelm Schmid erklärt, wie er zu dieser Überzeugung gekommen ist. Seitdem viele Menschen den Ratschlag angenommen haben, immer positiv zu denken, die Welt immer nur von der hellen Seite anzuschauen, stehen sie unter einem erheblichen Glücksstress. Und die Verpflichtung, immer glücklich sein zu müssen, weil sonst das Leben nicht gelingt, ist eher gefährlich als hilfreich.
Schmid erzählt von dem Mann in den mittleren Jahren, der seine schwere Erkrankung bis zum letzten Tag einfach ignoriert, sie einfach weglächelt. Ja, er hat einen Durchhänger, das mag sein, aber er kommt wieder auf die Beine, da ist er ganz sicher. Dabei wissen alle, dass es bald zuende geht. Aber niemand kann mit ihm darüber reden. Niemand Abschied nehmen. Der Glücksstress überschattet sein Leben bis zuletzt.
Bereitwillig und offen erzählt Wilhelm Schmid auch vom Scheitern seiner Ehe. Er sagt: "Meine erste Idee von Liebe ist idiotisch gescheitert. Meine Frau und ich standen beim Scheidungsrichter. Wir haben uns in den Armen gelegen und geweint. Wir mussten uns eingestehen: Wir lieben uns; aber wir können nicht zusammen sein. Wir dachten: Liebe sei immer Harmonie, immer große Gefühle, immer alles zusammen machen. Wir waren zwei heillose Romantiker und sind daran gescheitert."
Lebenskunst ist etwas anderes als immer glücklich zu sein. Wer seinen Nächsten liebt und sich selbst genauso, der geht freundlich mit den eigenen Gefühlen um und muss sie nicht verstecken: Die Liebe nicht und die glücklichen Momente nicht; aber ebenso wenig Zorn, Wut oder Resignation. Das Leben ist bunt, kennt Höhen und Tiefen. Niemand hat uns gesagt, dass das Leben nur dann Sinn macht, wenn wir immer nur glücklich sind.