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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Er hat sich bemüht...

Er hat sich bemüht...

„Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“. So Goethe im Faust zweiter Teil. Ein berühmtes Lob der menschlichen Bemühung. Wer sich bemüht, der hat das Wichtigste schon getan, dem kann geholfen werden.

Goethe würde sich allerdings wundern, wenn er eingeweiht wäre in die Sprache heutiger Arbeitszeugnisse. Ein Arbeitszeugnis kriegt man beim Arbeitgeber spätestens dann, wenn man die Firma verlässt. Ohne ein solches Zeugnis macht die Bewerbung anderswo gar keinen Sinn. Und wenn dann da drin steht - siehe Goethe - er hat sich immer strebend bemüht, dann wartet am Horizont der Karriere nicht die Erlösung sondern die Arbeitslosigkeit.

Was bei Goethe verheißungsvoll klingt, ist in der Sprache eines Zeugnisses tödlich. Wie so manche andere Formulierung auch. „Wir sind mit seiner Leistung zufrieden.“ Da steht: zufrieden. Und gemeint ist das genaue Gegenteil: Er hat sich immer an der unteren Grenze unserer Anforderungen bewegt. Noch nicht einmal die sprachliche Steigerung ist wirklich ein Lob: Er hat seine Tätigkeit zu unserer vollen Zufriedenheit ausgeübt. Kundige Leser - und wer sich mit Arbeitszeugnissen beschäftigt, muss kundig sein - kundige Leser wissen, dass es schon „zu unserer vollsten Zufriedenheit“ heißen muss, damit es auch als Lob verstanden wird.

Die Sprache der Zeugnisse ist deutsch. Und es ist trotzdem eine Fremdsprache, weil nichts so gemeint ist, wie es da steht. Überall lauern Fettnäpfchen. Wenn man hinein tritt, kommen die Arbeitsgerichte ins Spiel.

Wer auf der sicheren Seite sein will, leistet sich neuerdings einen „Zeugnis-Generator“ für 153 Euro. Das System beherrscht diese Fremdsprache „zur vollsten Zufriedenheit“ und übersetzt von Normal-Deutsch in Zeugnis-Deutsch.

Aber die Irritationen bleiben. Wenn mir jemand nach einem Vortrag sagt: Sie haben sich wirklich viel Mühe gemacht. Wie soll ich das verstehen? Meint er, was er sagt oder spricht er „zeugnis-deutsch“?

„Eure Rede sei ja, ja oder nein, nein. Alles andere ist von Übel.“ Oder anders: Sagt einfach, was ihr meint. Versteckt es nicht hinter täuschenden Wort-Fassaden!

Unserer Sprache und unserem Umgang miteinander würde es besser bekommen, wenn dieser biblische Grundsatz nicht nur ein frommer Anspruch wäre.