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Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

Die Leben der anderen

Die Leben der anderen

Es ist faszinierend, wie manchen das Leben gelingt. Schönes Elternhaus ohne große Konflikte; Abitur und Studium; mit dreißig Jahren eine gehobene Stellung oder Rollen im Fernsehen, dann Ehepartner und Kinder; mit vierzig auf der Höhe des Ruhms, eigenes Haus, Urlaub vom Feinsten. Ich will hetzt aufhören zu schwärmen. Aber es ist ja so. Man liest oder hört Lebensgeschichten und denkt: Ja, das Leben gelingt. Und sieht das eigene Leben und denkt: Tja, hätte auch besser verlaufen können. Und wird neidisch.

Das ist der Moment, in dem Jesus sagt: Schau nie auf andere, sonst wirst du missgünstig. Neid macht meist unzufrieden. Vergleichen verboten (siehe dazu: Neues Testament, Matthäusevangelium Kapitel 20, Verse 1-16). Das sagt sich leicht. Und ist trotzdem richtig. Unzufriedenheit im Leben kommt oft daher, dass ich mein Leben mit anderen vergleiche. Natürlich mit denen, denen es angeblich besser geht als mir. Die mit den leuchtenden Lebensläufen. Die mit der fabelhaften Gesundheit. Die mit den braven Kindern oder Enkeln. Die auch noch druckreif reden können. Da schaut man hin und hört gar nicht mehr auf, hinzuschauen. Dabei wächst der Neid. Ich gönne es ihnen. Aber mir soll man es auch gönnen. Wieder kommt jetzt der Moment, in dem Jesus sagt: Neid kommt daher, dass man sich vergleicht. Dass man ein paar Lebensgeschichten nebeneinander stellt und denkt: Die haben es besser als ich. Man sieht nur noch andere und nicht mehr sich selbst. Ein Fehler, sagt Jesus. Gnade ist nie vergleichbar. Mit gar nichts. Schau einfach nur auf dich. Vom ersten Tag des Lebens bis heute. Und vergleiche dich mit nichts und niemandem. Was dir geschieht, ist der Weg Gottes mit dir.

Jesus hat gut reden, hat vermutlich sogar Recht. Schwer bleibt es trotzdem, sich nicht zu vergleichen, nur den eigenen Weg zu betrachten. Zu sehr leuchten oft die Leben der anderen, wirkt das eigene Leben dagegen unscheinbar. Schon wieder vergleicht man. Und wieder ist es verkehrt. Gnade ist mit nichts zu vergleichen. Mein Leben ist nur mir gegeben. Ein anderes Glück gibt es für mich nicht. So fängt Zufriedenheit an.