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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Frankfurt

Das Haus auf dem Blatt auf dem Wasser

Das Haus auf dem Blatt auf dem Wasser

In einer der alten Synagogen von Prag habe ich vor drei Wochen eine kleine Ausstellung besucht. Dort werden Bilder gezeigt, die Kinder im Konzentrationslager Theresienstadt gemalt haben. Eins dieser Bilder hat sich mir besonders eingeprägt.

Die kleine Malerin war damals etwa 10, 11 Jahre alt und heißt Edita. Edita Pollaková. Sie hat ein Haus gemalt. So wie Kinder in dem Alter oft malen: aus einer halbschrägen Sicht, ein bisschen perspektivisch. Die Vorderwand gelb, die Giebelwand braun und obendrauf das rote Dach. Das Besondere ist: dieses Haus steht nicht auf einer Wiese oder an der Straße, so wie das Haus, in dem Edita selbst früher gewohnt hat. Es steht – auf einem grünen Blatt, einem Blatt von einem Baum, das so groß ist, dass es das kleine Haus tragen kann. Und dieses Blatt mit Haus schwimmt auf blauem Wasser.

Als Kinder haben wir manchmal Blätter ins Wasser eines Baches gesetzt und von der Strömung wie ein Boot forttragen lassen. Wie lange wird es sich oben halten? Schafft es die nächste Kurve noch, in der das Wasser schneller fließt? Und wenn, dann kommt ja noch die Stromschnelle und dann die zwei dicken Steine, die die Fahrrinne ganz eng machen. Es war jedes Mal wieder spannend.

Ich glaube, Edita hat dieses Spiel auch gespielt, bevor sie zusammen mit ihrer Familie aus Prag ins Konzentrationslager gebracht wurde (http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI. 1727935). Ihr ist das Blatt, das sie beim Spielen ins Wasser gesetzt hatte, dieses von Wasser bedrohte und immer unsichere grüne Blatt eines Baumes wieder eingefallen, als sie malen wollte, wo sie jetzt ist. Bis vor kurzem lebten sie in ihrer Wohnung in Prag. Aber dieses Zuhause hatte sie verloren. Sie hatte so viel verloren, ihre Schule, ihre Freundinnen, ihre Freiheit. Was hat eigentlich Bestand? Was ist sicher? Sicherer… als ein Blatt im Wasser?

Was Edita gemalt hat, hat mich tief berührt. Sie hat, so scheint mir, in ihrer traurigen Klugheit erkannt, dass das Leben riskant ist. Was fest ist und sicher, ja was wie ein Haus gemauert ist, kann schon im nächsten Moment untergehen. Und doch: dieses Haus auf dem Blatt auf dem Wasser – es steht. Steht aufrecht und gerade und ist schön, eben wie ein Haus aussehen muss, in dem man gerne wohnt. Das ist wohl die ganz große Kunst des Lebens, von der das Bild dieses kleinen Mädchens spricht: Gefahr und Tod nicht zu leugnen und sich doch ans Leben zu halten.