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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Achtung Störung

Achtung Störung

Marlies ist erschöpft. Schon seit Wochen. Wer mit ihr zu tun hat, meint, sie sei burn-out-gefährdet. Im Gespräch zeigt sich, dass sie selbst weiß, woran das liegt. Sie sagt: "Es geht doch nur darum, dass ich funktioniere. Alle erwarten das. In meiner Familie. Am Arbeitsplatz. Im Vorstand vom Sportverein. Wenn alles glatt läuft, fällt das keinem auf. Darüber wird kein Wort verloren. Aber wehe, wenn ich mal etwas vergesse, oder einfach nur einen schlechten Tag habe. Wehe, wenn einmal etwas nicht klappt. Dann beginnt das Gezeter: Hättest du doch... Warum bist du darauf nicht gekommen? Oder: Das bin ich von dir überhaupt nicht gewohnt."

Marlies geht das gewaltig auf die Nerven. Es belastet sie mehr, als sie tragen kann:  Allen fällt auf, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Und was stimmt, das nimmt man einfach so hin. Das ist selbstverständlich.

Es ist so ähnlich wie mit den modernen Maschinen in der Industrie. Reibungslos laufen, das ist ihr Zweck. Und solange sie das tun, muss sich niemand um sie kümmern. Erst wenn die rote Lampe eine Störung meldet oder die Sirene angeht, erst wenn Sand ins Getriebe kommt und ein Rädchen einmal stehen bleibt, kommen die Monteure mit ihren Analyseinstrumenten und ihren großen Werkzeugkästen.

Aber Menschen sind keine Maschinen. Wir sind nicht dafür gemacht, immer zu funktionieren. Wir sind keine Automaten, die einmal richtig eingestellt, ihren Zweck erfüllen und ihr Programm abspulen. Deshalb brauchen wir andere Menschen nicht zuerst dafür, dass sie uns sagen, was wir falsch machen. Lob und Anerkennung, wenn etwas gelingt, das ist für uns so wichtig wie das tägliche Brot. Lob und Anerkennung sind unverzichtbare Lebensmittel. Und es gehört zum Kern der christlichen Botschaft: Gott nähert sich den Menschen, weil er uns gern hat, nicht, weil etwas nicht klappt und wir Störungen verursachen.

Lob und Anerkennung als tägliche Lebensmittel. Wenn wir uns anderen so nähern, dann wird Kritik sogar häufig überflüssig. Denn Menschen, die gelobt werden, können es sich leisten, auch für ihre Schwächen einen klaren Blick zu haben.