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Eine Sendung von

Weinstock und Feigenbaum

Weinstock und Feigenbaum

Der Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker hat einmal gesagt: „Man kann in dieser Welt, wie sie ist, nur dann weiterleben, wenn man zutiefst glaubt, dass sie nicht so bleibt, wie sie ist, sondern werden wird, wie sie sein soll.“ Das ist mir und sicherlich vielen Anderen aus dem Herzen gesprochen. Die Drachen des Krieges und der Gewalt wüten rund um den Globus. Die Menschen ächzen unter dem Diktat des „immer mehr“ und „immer schneller“. Die Schere zwischen Reichtum und Elend klafft immer weiter auseinander.

Ein Blick in die Menschheitsgeschichte zeigt, dass menschliches Leben stets von Krieg und Gewalt, von Dummheit und Gier, begleitet wurde. Gleichzeitig aber wurde die Sehnsucht nach einer besseren, einer guten Welt von Generation zu Generation weitergeben. Der Prophet Micha hat das wunderbar in Worte gefasst: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken“ (Micha 4, 3f)

Weinstock und Feigenbaum sind biblische Symbole für Frieden und Glück. Vor allem die Weinrebe wurde für die Israeliten seit biblischen Zeiten zum nationalen Symbol, zu einem Symbol der Hoffnung auf ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit. Das wird zum ersten Mal sichtbar in der Geschichte vom Auszug der Kinder Israels aus der ägyptischen Sklaverei. Mose hatte zwei Spione ausgesandt, um die künftige Heimat des Volkes zu erkunden. Sie kamen mit einer riesigen Weintraube zurück, die sie an einer Stange auf ihren Schultern trugen. Die Weintraube war das Unterpfand auf zukünftiges Glück.

Gott selbst hatte das Gelobte Land verheißen. Folgerichtig bezeichnet Jesus Gott als Weingärtner. Er selber, Jesus, ist der Weinstock. Das sagt er in der Abschiedsnacht vor seinem Tod den Jüngern. Sie sind die Reben am Weinstock. Sie müssen mit Jesus verbunden bleiben. „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun,“ (Joh.15,5) sagt er. Die Frucht, von der er spricht, ist nichts weniger als die Verwandlung der bestehenden Welt. Die Welt soll werden, wie sie sein soll. Das ist der bleibende Auftrag an die Jünger – und damit an die Christenheit. Glaube, Liebe und Hoffnung erweisen sich stärker als Angst, Egoismus und Resignation. Frieden, Gerechtigkeit und das Bewahren der Schöpfung sind keine leeren Worte.

Auch wenn der Augenschein immer wieder dagegen spricht: Armut, Hunger und Krieg sind kein unabänderliches Schicksal. Die Menschheit hat bessere Möglichkeiten. Das gilt global, und es gilt ebenso in unserem persönlichen Leben. Beides, das große Ganze und das Private, hat uns der göttliche Winzer anvertraut. Auf dass einmal alle Menschen in Frieden unter ihrem Weinstock und Feigenbaum wohnen und niemand sie schrecken wird.