hr1 ZUSPRUCH
hr1

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Transportiertes Glück

Transportiertes Glück

Sechs Flaschen von dem guten toskanischen Wein habe ich gerade noch in den Kofferraum gezwängt, bevor wir nach Hause gefahren sind. Und dann, am nächsten Wochenende, als wir mit Freunden zusammen sitzen und die ersten Urlaubsbilder betrachten, kommt der Wein auf den Tisch. „Ihr glaubt ja gar nicht, wie gut der schmeckt. Ein wahrer Hochgenuss – und gar nicht so teuer“. Nach dem ersten Schluck: Von Begeisterung keine Spur. Eher leichtes Kopfwiegen, „hm, ja, schmeckt ganz interessant.“ Ich bin leicht irritiert: Das ist doch nicht der Wein, den wir vor zwei Wochen an dem traumhaften Abend getrunken haben, bei Sonnenuntergang auf der Terrasse, mit leiser Musik, und dem Gefühl, das Leben könne gar nicht schöner sein? Ich schaue aufs Etikett, kein Zweifel. Ich probiere noch mal, schüttle den Kopf. „Das hat man öfter“, versuchen die Freunde zu trösten, „nicht jeder Wein verträgt den Transport.“ Ja, das wird es wohl sein, was aus einem mediterranen Traum-Genuss einen eher unterdurchschnittlichen Tropfen gemacht hat: Er hat ganz einfach die Fahrt nicht vertragen.

Inzwischen bin ich unsicher, ob es so einfach ist. Ob wirklich elfhundert Kilometer Autobahn sechs Flaschen toskanischem Wein so schaden können. Wahrscheinlich schmeckt ein Wein eben anders, wenn ich ihn entspannt im Urlaub trinke. Wenn alles rund herum passt: das Wetter, die Stimmung, das gute Essen, der Ausblick auf Meer und Berge – ich komme ins Schwärmen, wenn ich daran denke. Und nun steht der Wein auf meinem Wohnzimmertisch und soll es irgendwie alleine schaffen, diesen wunderbaren Abend wieder lebendig werden zu lassen. Das schafft er nicht. Damit ist sogar der beste Wein überfordert.

So mobil der Mensch auch sein mag, denke ich mir, das Glück lässt sich nicht so einfach von dort nach hier bewegen. Es hängt nicht an Gegenständen, an Sachen. Es hat seine Orte und seine Zeiten – und vor allem die Menschen, mit denen es verbunden ist und bleibt. Und ein Abend in der Toskana lässt sich durch kein Mitbringsel in mein Wohnzimmer oder in meinen Garten verlegen. Da entstehen dann hoffentlich ganz andere und ganz eigene Glücks-Momente.