Gottes Liebe und menschliche Freiheit
„Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer, wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus.“ Was ich früher im Jugendkreis gesungen habe, steht heute im evangelischen Gesangbuch (EG 610). Poetische Worte zu einer sanften, ruhigen Melodie. Ich mochte das Lied schon immer – und das geht offenbar nicht nur mir so, denn es wird oft für Gottesdienste gewünscht: bei Trauungen, Taufen und manchmal sogar bei Beerdigungen. Offenbar fühlen sich viele Menschen unmittelbar angesprochen von den vielfältigen Vergleichen, die aber doch nicht weiter erklärt werden. Gras und Ufer, Wind und Weite – das sind Anknüpfungspunkte in der Schöpfung, die an Gottes Liebe erinnern. Dabei entsteht eine gewisse Stimmung in mir: ich denke an erhabene Schönheit, an Lebensglück, an Offenheit. Und wenn die Zeile endet „ … und wie ein Zuhaus“, dann stellt sich noch das Gefühl von Geborgenheit ein. Vielleicht ist das das Geheimnis dieses Liedes: Es spricht mit seiner Melodie und seinen Worten Gefühle an, weckt Stimmungen - und argumentiert nicht oder fordert unseren Verstand heraus.
Um Freiheit geht der Text bei den Strophen. Die Freiheit, sich selbst zu finden; die Freiheit, die Räume für eigenes Leben mit Wünschen und Träumen eröffnet; die Freiheit zur eigenen Entscheidung „Ja“ oder „Nein“. Es sind Sehnsüchte, die wir in uns tragen, besonders wenn wir gerade an der Schwelle zu einem erwachsenen, selbstbestimmten Leben stehen. Aber sicher nicht nur dann. Denn diesen Wunschtraum zu realisieren ist schwer. Dem stellt sich auch das Lied. Es beschreibt unser Ich als gefangen – in einem Gefängnis „aus Steinen uns‘rer Angst“, wie es dort heißt. Schon der Blick auf die anderen Menschen um uns herum ist davon geprägt. Im Zweifel lieber vorsichtig sein! Dabei ist die Angst andererseits auch immer wieder berechtigt und begründet.
So weist das Lied schließlich darauf hin, dass es die wahre Freiheit und die Erfüllung unserer Sehnsüchte nur bei Gott gibt. Er kann sie uns schenken. Lassen wir uns also ergreifen von seiner Liebe, denn seine Liebe ist wie Gras und Ufer, wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus.