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Kristen, Dr. Peter

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

Eins mehr ist nicht schwer

Eins mehr ist nicht schwer

Mit dem Fahrrad unterwegs zum Einkaufen hab ich einem Mähdrescher zugesehen. Gleich neben dem Radweg hat er ein Weizenfeld abgeerntet.

Konsequent und gründlich zieht er seine Bahnen und befördert die wertvollen Körner auf große Wagen. In null Komma nichts macht er aus einem Kornfeld einen Stoppelacker.

In biblischer Zeit war das nicht erlaubt, hab ich schmunzelnd gedacht. Da galt die Regel, dass von einem Weizenfeld etwas für die Armen und Fremden stehen gelassen werden soll.

„Wenn ihr erntet, sollt ihr euer Feld nicht bis an den Rand abernten und keine Nachlese halten. Lasst etwas übrig für die Armen und für die Fremden bei euch. Ich bin der HERR, euer Gott!“ (3. Mose 19, 9f)

Rut, die Urgroßmutter des Königs David war so eine Frau, die in Not geraten war. Ihr Mann war gestorben und sie musste ihre Heimat verlassen. Sie war arm und fremd. Ein Feldbesitzer ihrer Zeit hat die alte Regel befolgt und so ihr Leben gerettet.

Aber was würde das denn bringen, wenn der Mähdrescherfahrer jetzt zuerst eine Runde um den Acker fahren und die Ecken stehenlassen würde?

Würde dann ein Armer oder Fremder die Körner auflesen? Wohl kaum. Dass die alte Regel aus der Bibel trotzdem nicht ausgedient hat, hab ich dann am Supermarkt gemerkt.

Am Eingang stand nämlich eine Mitarbeiterin der Büdinger Tafel mit einem Einkaufswagen und einem Schild. „Eins mehr - ist nicht schwer - danke sehr“ stand drauf.

Das ist eine Aktion der sogenannten Tafeln, die Lebensmittel an in Not geratene Menschen verteilen. Diese Tafeln werden von Supermärkten und Bäckereien mit leicht verderblichen Waren versorgt, die nicht mehr zu verkaufen sind: Wurst und Brötchen, Käse und Joghurt.

Grundnahrungsmittel wie Mehl oder Nudeln fallen dabei selten an. Darum die Aktion „Eins mehr - ist nicht schwer –danke sehr“. Die Leute sollen einfach eine Packung Mehl, Reis oder Nudeln mehr kaufen und sie dann in den Einkaufswagen vor dem Eingang legen.

Zwei Pakete Mehl wollte ich so wie so kaufen, da hab ich an Rut gedacht und drei genommen. Es ist mir wirklich nicht schwer gefallen. Die Frau am Eingang hat „Danke sehr“ gesagt, als ich das dritte Paket Mehl in ihren Einkaufkorb gelegt habe.

Auf dem Heimweg bin ich wieder am Stoppelfeld vorbeigekommen. Der Mähdrescher hatte nichts übrig gelassen. Aber solange es Arme und Fremde gibt, gibt es auch Wege, ihnen etwas abzugeben.