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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Die Heimat mitnehmen

Die Heimat mitnehmen

Ich bin in meinem Leben acht Mal umgezogen. Meistens mit der ganzes Familie. Unser jüngerer Sohn hat die Umzüge in seiner Kindheit immer als eine Art Urlaubsfahrt eingeschätzt, als kleines Abenteuer, auf das er sich bereitwillig einließ. Nur, nach drei oder vier Tagen in der neuen Umgebung, zupfte er mich am Ärmel: „Du, Papa, wann fahren wir eigentlich wieder heim?“ Die Auskunft, dass wir jetzt hier daheim sind, half nicht viel. Es brauchte immer einige Wochen, manchmal Monate, bis nicht nur der Umzugswagen sondern auch seine Seele den Weg von dort nach hier zurückgelegt hatte. Und je freundlicher die neue Umgebung für ihn war und je herzlicher die Menschen um ihn herum, umso schneller konnte seine Seele ankommen, umso schneller war er daheim.

Im Laufe der Zeit verändert sich die Einstellung zu dem, was Heimat ist. Bei Kindern und Eltern. Es ist nicht mehr unbedingt der Ort, wo ich geboren bin. Oder aufgewachsen. Oder zur Schule gegangen. Als mobile Menschen nehmen wir die Heimat immer auch mit uns, werden an bisher fremden Orten heimisch. Dort, wo wir leben. Wo die Menschen sind, die wir lieben. Wo wir unsere Aufgaben haben. Und – beim Älterwerden – wo ich einmal begraben sein möchte.

Die Heimat mitzunehmen an bisher fremde Orte, das ist nicht nur mühsam. Das hat auch etwas Erfrischendes. Wir betreten Neuland. Wir machen neue Erfahrungen. Wir entwickeln uns weiter. Und: wir bekommen auf solchen Wegen Mut zugesprochen. Gott segnet Menschen, die unterwegs sind von einer Heimat zur nächsten. Er sagt zu Abraham: „Geh aus deinem Vaterland und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will. Ich will dich segnen. Und du sollst ein Segen sein.“

Mit dieser eigenen Erfahrung will ich auch auf die Menschen schauen, die einmal ihre angestammte Heimat verlassen haben, verlassen mussten, um bei uns heimisch zu werden. Manche von ihnen bleiben fremd, weil ihre Seele nicht nachkommt. Andere geben sich die größte Mühe, werden aber von den Einheimischen häufig wie Fremde behandelt. Der junge Mann, in Deutschland geboren, mit der deutschen Sprache aufgewachsen, aber dunkelhäutig, beklagt sich. „An meinem Arbeitsplatz sprechen die Kunden englisch mit mir. Ich sage: ich bin Deutscher und spreche deutsch. Aber das ignorieren sie und sprechen weiter englisch.“

Die Seelen der Heimatsuchenden können besser nachkommen, wenn sie umgeben sind von herzlichen Menschen. Menschen, die andere willkommen heißen, weil sie wissen, was es heißt, fremd zu sein. Das könnte unser Beitrag zu einer besseren Integration sein.