hr1 ZUSPRUCH
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Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

Demut statt Recht

Demut statt Recht

Er hat Menschen unfassbare Schmerzen bereitet. Nun bekommt er selbst eine Art Schmerzensgeld. Auch wer viel Unrecht tut, hat Anspruch auf Recht. Magnus Gäfgen bekommt eine Entschädigung, weil ihm von der Polizei Schmerzen angedroht wurden. Folter ist gesetzlich verboten. Auch Mörder haben Grundrechte, so bitter das klingt. Ich will mich aber nicht lange empören. Ich will fragen: Warum macht Gäfgen das? Warum zieht er vor Gericht, schreibt Bücher, wollte gar mal eine Stiftung gründen, was ihm nicht erlaubt wurde - warum dieser Eifer?

Weil er sich und uns von seiner Tat ablenken will, denke ich. Alle sollen nur ihn sehen und was ihm angetan wurde. Tief im Innern stellt er sich seiner Tat nicht. Würde er still in sich gehen, wäre sein gefälliges Selbstbild am Ende. Stattdessen will er, dass alle ihn sehen und wie er leidet. Also erfindet er eine Schlagzeile nach der anderen und drängt vor die Kameras. Er will nicht hören, wie viel Leid er Menschen zugefügt hat. Er will nur zeigen, wie er selber leidet.

So wird man Schuld nicht los, das ist klar. Schuld redet man nicht weg und macht sie nicht klein in einem Prozess um Schmerzensgeld. Im Gegenteil. Je mehr man Schuld verdrängt oder wegblendet, desto größer wird sie. In einem selber wird sie groß. Das Leben kennt keine Löschtaste, die Schuld einfach wegwischt. Wer schuldig ist, warum auch immer, muss in sich gehen. Muss genau ansehen, wer er ist und wie er geworden ist. Das ist Sinn der Strafe: Dass man Zeit hat, zu sich zu kommen und sich selber zu sehen. Immer wieder. Die Zeit nutzt Magnus Gäfgen schlecht. Er stellt sich dar, statt seine Tat zu betrachten. Er genießt sein Recht, statt Demut zu üben. Er besteht auf seinem Recht, um sein Unrecht zu überblenden.

So kommt er nie ins Reine mit sich. Jeder Scheinwerfer macht mir seine Schuld nur größer. Statt um das bisschen Geld zu streiten, sollte er lieber Gott bitten: Erbarme dich meiner armen Seele.