hr1 SONNTAGSGEDANKEN
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Wildfang, Christoph

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain

Offener Himmel

Offener Himmel

I

Manchmal ist der Himmel dicht. Nichts geht mehr. Vor einem Jahr ging mir das so. Dieser Vulkanausbruch in Island. Ich war grad auf einer kurzen Reise durch Schottland. Strahlend blauer Himmel überall in den Highlands. Glasklar dieser Himmel. Klarer als blau nur sein kann. Eisblau. Meerblau. Beim Herumschalten im Hotelfernseher dazwischen immer mal bedrohliche Bilder von einem Vulkan mit unaussprechlichem Namen in Island. Eine riesige düstere Wolke drüber. Was soll´s. „Island ist weit weg und ich bin in Schottland!“ Während der Touristenbus durch die schottischen Highlands rollte, wir uns das königliche Schloss Balmoral anschauten, schaute ich immer mal wieder nach oben. Was heißt hier „Flugausfall“? Quatsch! Keine Wolke am Himmel. Wo ist denn hier die Aschewolke? Auch die Tourleitung sagte nichts. Als ich dann aber am Ende der Reise nach Hause wollte, ging nichts. Jemand redete vom Reiserecht, eine von Erstattungen. Und dass wir hier nicht weg können. Wer unbedingt muss, der kann´s ja versuchen. Ich musste und ich versuchte es. Aber: Der blaue, strahlend blaue Himmel ist dicht. Wie verschlossen. Ich tue anfangs so, als ob ich das ganz locker nehme. Dann geht´s eben per Schiff nach Hause oder unterm Ärmelkanal durch –Was kann mir schon passieren? Es soll eine wirklich chaotische Reise für mich werden. Nur mit viel Glück erwische ich so ein begehrtes Ticket für den Zug unterm Ärmelkanal.

Der Himmel über Nordeuropa war dicht vor einem Jahr. Auch jetzt bei dem neuen Ausbruch auf Island vor zwei Wochen gab es manche Sorgenfalten.

Himmel dicht – das steht natürlich noch für ganz andere Erfahrungen. Himmel – ein Symbol für viel mehr. In Schottland habe ich, je näher mein Flugtermin rückte, immer öfter in den Himmel gestarrt. Eben zuerst sehr ungläubig, weil meine Augen da nichts Besonderes entdecken konnten. Ungläubig starrten wohl auch die Freunde von Jesus in den Himmel von Jerusalem. So erzählt es die biblische Geschichte von der Himmelfahrt. In Betanien war das, ein Dorf oberhalb von Jerusalem. Eben hatten sie noch mit Jesus gesprochen, dann war er ihnen abhanden gekommen, entschwebt. Es ist ja noch vor Pfingsten. Noch kein Heiliger Geist in Sicht, der vielleicht geholfen hätte, das zu verstehen, was sie da erfahren haben. Den Jüngern Jesu ging es vielleicht so ähnlich wie mir in Schottland: ungläubiges Erstaunen. Der auferstandene Jesus bewegte sich Richtung Himmel. Die Freunde Jesu werden dann wohl eine ganze Weile in den blauen Frühlingshimmel über der heiligen Stadt Jerusalem gestarrt haben. Vielleicht mit offenem Mund. Eben unfähig zu verstehen, was sie grad gesehen haben. Es wird schwer sein, dieses irgend einem Menschen in ihrer Familie und im Freundeskreis zu erklären. Mit vielen Fragen im Herzen blicken sie noch eine ganze Weile nach oben. Ihr ganzes Weltbild kommt ins Wanken. Der Himmel scheint grenzenlos – und was begrenzt war, scheint ganz weit. Für wen ist der Himmel offen?

II

Für wen ist der Himmel offen? Es gibt Zeiten, wo wir in den Himmel starren. Vor einiger Zeit war ein Sternschnuppenfeuerwerk in der Zeitung angekündigt. Das sollte man auf dem Feldberg im Taunus ganz toll sehen können. Ich fuhr hin. Lag auf einer Decke und starrte nach oben. Ich kam mir ganz schön komisch vor, irgendwie albern. Aber ich war nicht allein, noch ein paar 100 andere Himmelgucker um mich rum. Es war – ehrlich gesagt – nicht gerade ein Feuerwerk. Total übertrieben der Zeitungsartikel. Aber immer mal ertappten meine suchenden Augen tatsächlich eine megakurz aufblitzende Sternschnuppe. Während ich da auf dem Feldberg lag, ein bisschen fröstelte, wanderten meine Gedanken zu dem Himmel hinter dem sichtbaren Himmel. Himmel – ein uraltes Symbol für eine ewige Heimat bei Gott. Aber seit dieser einen besonderen Himmelfahrt Jesu damals bei Jerusalem ist keine gedankliche akrobatische Übung mehr nötig. Da ist mir einer vorangegangen. Hat deutlich gemacht, dass der Himmel bei Gott auch für mich offen ist. Niemals dicht wie der sichtbare Himmel damals in Schottland. Und doch kreisen meine Gedanken um diese Himmelfahrt. Hat nicht der erste Kosmonaut schon darüber gespottet? Dass er da oben nichts gesehen hätte? Dass der Himmel da oben leer und lebensfeindlich ist? Meinen Kinderglauben kann ich nicht einfach mehr einschalten. Sicher habe ich viele Bilder von „Himmel“ im Kopf. Aus alten Kinderbibeln. Oder alte Meister in Kirchen und Museen. Wie Menschen sich eben Himmelfahrt vorgestellt haben. Und ich? Ich möchte mir Himmelfahrt nicht zerreden oder verspotten lassen. Jenseits allen Sichtbaren da oben –– ist das Symbol „Himmel“ ein starkes Gefühl von Heimat und Ewigkeit. Verbunden mit starken Gefühlen und Sehnsüchten. Da oben, da ist grenzlose Freiheit. Grenzenlos auch in Gedanken. Himmelfahrt hängt ja auch mit der Auferstehung der Toten zusammen. Und die braucht auch Bilder. Ich kann kaum etwas ganz ohne Bilder vor meinem geistigen Auge denken. Also: Auferstehung der Toten: wohin? Wo sind sie? Auch da möchte ich mir meinen Glauben nicht zerspotten oder kleinreden lassen. Für mich ist Auferstehung viel mehr als aufzustehen nach einem Stolpern oder Weiterzumachen nach einer Krise.

Ich bin dann auf der Suche nach Himmelfahrt weit gereist. Es war mir wichtig. Ohne Himmel möchte ich nicht sein. Bis nach Jerusalem bin ich gereist. In den Ort Betanien oberhalb von Jerusalem (Lukas 24.50) Ich war an einer Kirche nahe Jerusalems Altstadt, die traditionell mit der Himmelfahrt verknüpft wird. Wie öfter mal bei den Christen mit ihren vielen Konfessionen gibt es in Jerusalem auch mehrere Punkte, die mit der Himmelfahrt Jesu verbunden werden. Ich setze mich in eine der Himmelfahrtskirchen. Kann ich hier etwas von Himmelfahrt spüren? Mehr als zu Hause? Ich sondere mich ein wenig von der Besuchergruppe ab. Setze mich in den Schatten, schließe die Augen. Aber ich lausche nur dem Sprachwirrwarr der vielen Touristengruppen. Höre die Anweisungen für Gruppenfotos und historische Erklärungen um die alten Steine herum. Himmelfahrt kann man auch tot quatschen. Ich hole meine Bibel aus dem Rucksack.

III

Die Himmelfahrt Jesu wird in der Bibel recht kurz beschrieben. Im Lukasevangelium sind es grad zwei Verse (Lukas 25.50+51). Im Stimmengewirr in der Himmelfahrtskirche lese ich: „Jesus führte sie hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel“. Himmelfahrt ist also mit dem Segen verbunden. Für mich macht es das viel einfacher. Da wo Segen ist, wo Menschen andere segnen, da steht der Himmel für mich offen. Segnen, das ist der Zusammenhang zwischen Himmelfahrt und mir. Die Leitlinie, der tragende Gedanke. Ich kann mich nicht selbst segnen. In den Resten und Ruinen der von Sonne umfluteten alten Himmelfahrtskirche von Jerusalem schloss ich wieder die Augen und versuchte, dem Segen nachzuspüren. Gesegnet werden meint: geschätzt werden. Ich bin gemeint. Ich bin bestärkt. Begleitet. Und: Gesegnet werden ist keine einmalige Sache. Wenn mir danach ist, immer wieder neu, kann ich mich unter Gottes Segen begeben. Jeder Gottesdienst endet mit dem Segen. Ich bin gemeint. Ich stehe auch nicht allein und einsam unter Gottes Segen. Wie damals die Jünger hier in Jerusalem zusammen waren. Jesus geht weg – aber lässt ihnen seinen Segen. Segen, damit sie den austeilen können und Menschen Segen empfangen, spüren und mitnehmen und damit leben. Wie ich. . Es war schön in der Himmelfahrtskirche von Betanien. Trotz der Touristen, von denen ich ja auch einer bin. Ich denke: Seit Himmelfahrt ist der Himmel für mich offen. Am Ende hab ich noch gesehen, wie eine Touristengruppe inne hielt. Eine Frau betete. Dann hat sie die die Hände zum Segen erhoben. Manche neigten den Kopf. Ich auch. Ich werde gesegnet. Der Himmel ist offen.