hr4 Gottesdienst am zweiten Weihnachtstag aus Frankfurt
Katholischer Gottesdienst am 2. Weihnachtsfeiertag, 26.12.2025, 10:05 - 11.00 Uhr, aus dem Frankfurter Dom St. Bartholomäus
Hier bei hr4 können Sie im Radio und Internet live den Gottesdienst hören und mitfeiern.
Den Gottesdienst zum Nachhören gibt es nach Ausstrahlung hier oben auf dieser Seite und ebenfalls auf hr4.de
Nach dem Gottesdienst können Sie mit Prof. Beck, Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen und mit Frau Moser-Eggs, Leiterin der Frankfurter Stadtkirche, sprechen: Sie sind bis 12.30 Uhr telefonisch erreichbar unter den Nummern 069 / 29 70 32 – 10 und 297032 - 33.
Zelebrant + Prediger: Prof. Dr. Wolfgang Beck
Begrüßung + Fürbitten: Christiane Moser-Eggs
Lesung + Fürbitten: Marianne Brandt
Chor: Cappella Bartolomea / 6 Frauenstimmen + Domkantor Johannes Wilhelmi
Kantor / Bariton: Domkantor Johannes Wilhelmi
Violine I: Ruth Schwachhöfer
Violine II: Liuba Petrova
Orgel: Domkantorin Hermia Schlichtmann
Musikalische Leitung: Dommusikdirektor Andreas Boltz
Kirchliche Redaktion: Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr
Musik:
Lied zur Eröffnung: „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich“ GL 247, Str. 1-4
Kyrie: GL 160
Gloria: GL 168 1+2 + Kanon Vulpius
Antwortpsalm: GL 307,5
Ruf vor dem Evangelium / Halleluja: GL 175, 4
Halleluja-Wiederholung: GL 175, 4
Musik zur Gabenbereitung: G. P. Telemann, Arie "Ich sehe schon den Himmel offen" (aus der Kantate "Erquicktes Herz“)
Sanctus: GL 197
Agnus Dei: G. Carissimi, Agnus Dei
Musik zur Kommunionausteilung: Vincent Lübeck, Arie "Sag an" (aus der Kantate "Willkommen süßer Bräutigam")
Schlusslied: GL 357 1,2,7 „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ (Praetorius)
Musik zum Auszug: "Wie schön leuchtet der Morgenstern" (Dieterich Buxtehude)
Predigt:
Liebe Hörerinnen und Hörer von hr4, liebe Gemeinde hier im Frankfurter Dom!
Ich erinnere mich an einen Kunstlehrer aus meiner Schulzeit, der uns eines Tages schockierte. Wir hatten in den letzten Wochen im Kunstunterricht alle – mehr oder weniger lustlos – an unseren Bildern gearbeitet. Und an diesem Tag macht er uns mit dem nächsten Arbeitsauftrag sprachlos. Er gibt uns eine Aufgabe, die mir bis heute in Erinnerung ist: „Nehmt eine Farbe mit viel Wasser und einen großen Pinsel und übermalt das gesamte Bild, zerstört es! Zerstört es!“
Für alle, die den Kunstunterricht sowieso nicht so richtig ernstnehmen konnten, war das natürlich ein großer Spaß. Unter Gejole und Lachen machen sich 20 Jugendliche daran, die eigenen Bilder zu übermalen. Der damalige Kunstlehrer hatte einen großartigen Gedanken, auch wenn er wohl wusste, dass er bei uns Teenagern wenig Aufgeschlossenheit finden würde. Wir Schüler sollten lernen: Nicht nur das Bild, das jeder von uns gemalt hatte, ist ein Kunstwerk. Vor allem das Arbeiten am Kunstwerk ist die Kunst! Und diesem Fall wollte der Lehrer mit uns auf richtig gute Weise ins Gespräch kommen: Dass Menschen das Schöne zerstören, in das sie Zeit und Kraft gesteckt haben. Das gehört zu den bitteren Facetten des Lebens. Die Kraft, Dinge zu zerstören, scheint manchmal maßlos. Das gilt in Kriegszeiten für Städte und ganze Regionen. Das gilt aber immer wieder auch für Beziehungen und Freundschaften.
Die Erfahrung, dass das selbst aufwändig geschaffene Kunstwerk zerstört oder übermalt wird, machen Menschen ja immer wieder: Da gibt es eine Idee vom Zusammenleben in einer Partnerschaft und in einer Familie, von Dingen, die gemeinsam aufgebaut werden und Glück versprechen. Und dann zerbricht diese wunderschöne Vorstellung. Am Beginn stand vielleicht eine Idee von einem glückenden und glücklichen Leben – wie ein schön gemaltes Bild. Doch dann zerbrechen und „übermalen“ Menschen ihre frühere Vorstellung vom gelingenden Leben selbst. Manchmal sind es auch die Umstände oder andere Menschen. Und weg ist es, das schön gemalte Bild.
Da gibt es eine Vorstellung davon, wie das Zusammenleben von Völkern und Nationen halbwegs friedlich gelingen könnte, abgesichert mit Verträgen und Partnerschaften. Und dann bricht doch Gewalt aus, weil einer sich und sein Volk benachteiligt sieht. Und aus dem Kunstwerk, aus der Vorstellung vom friedlichen Miteinander, entsteht ein nächster kriegerischer Konflikt. Das Schöne und mühevoll Erarbeitete tritt in den Hintergrund, wird zerstört. So gut Menschen darin sind, Schönes zu gestalten, so sicher scheint das Destruktive aufzutauchen. Es ist wie in meinem geschilderten Kunstunterreicht damals: das erstellte Bild wird zerstört, übermalt. Und manchmal ist es dann auch vielleicht sogar ganz gut, von einem früheren Idealbild Abschied zu nehmen, weil es sich vielleicht als nicht stimmig, als nicht lebbar erwiesen hat.
Natürlich müssen Menschen auch lernen, dass ein Kunstwerk, ein Ideal vergänglich ist. Es ist dann nicht leicht, die Kraft zum Neustart aufzubringen. Wenn Menschen sich nach einer Trennung oder einem schweren Schicksalsschlag neu sortieren müssen, braucht es viel Kraft.
Mich beeindrucken Menschen, die trotz all des Schweren im Leben nicht verzweifeln. Menschen, die nicht resignieren und auch nicht verhärten. Menschen, die weiterleben, irgendwie. Trotz des Schmerzes, trotz der tiefen Verunsicherung, trotz der Sprachlosigkeit. Die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron beschreibt in ihrem Buch mit dem Titel „Wir spielen Alltag“, wie die Menschen in ihrem Land, in Israel, nach dem Terror der Hamas am 07. Oktober 2023 und während des Gaza-Krieges weiterleben. Kann man da die Kinder in den Kindergarten bringen, ins Café gehen? Oder sich an den Strand legen? Manches konnten sie nicht. Es wäre einfach völlig unangemessen, wenn gleichzeitig Menschen leiden. Das Buch „Wir spielen Alltag“ erzählt davon, was passiert, wenn sich über das Schöne und die alltäglichen Vollzüge ein Schleier legt.
Die Autorin schildert, wie sie in all dem Furchtbaren, in Terror und Krieg versucht weiterzuleben. Ein Tag nach dem anderen. Ein Schritt folgt dem anderen.
Die Bibel erzählt in der Apostelgeschichte vom Tod des Heiligen Stephanus, der als erster Diakon gilt. Es ist ein Lynchmord an einem Menschen, der sich an Jesus orientiert und ihm nachfolgt. Hier verbindet sich das schöne Weihnachtsfest gleich am nächsten Tag mit einer finsteren Erzählung von Gewalt. Auf mich wirkt das immer ein bisschen verstörend. Die biblischen Texte, in denen Gewalttaten beschrieben werden, spiegeln in vielen Fällen menschliche Erfahrungen. Sie lassen indirekt erkennen, wie belastend Menschen Bedrohungen und Gewalt erlebt haben. Gleich nach dem Weihnachtsfest wirkt es wie ein Bild, das übermalt wird und hinter dem Brutalen fast verschwindet.
Allerdings: als wir als Schüler im Kunstunterricht unsere Bilder übermalt haben, hat das nicht ganz geklappt. Es blieb überall noch eine Menge von dem Kunstwerk erkennbar. Es ließ sich nicht austilgen oder ungeschehen machen. Das Schöne schimmerte immer noch durch. Von Stephanus heißt es in dem eben gehörten Evangelium, dass er den Himmel offen sah. Und er findet angesichts der Gewalt immer noch versöhnliche Worte. Das heißt doch: Das Schöne und Hoffnungsvolle lässt sich nicht gänzlich übermalen oder austilgen. Ich erlebe das in allem Schweren als sehr tröstlich. Das Zerstörerische triumphiert nicht. Ja, manchmal lässt sich das Schöne kaum noch erkennen. Aber das Hoffnungsvolle und Glanzvolle ist nicht weg. Der Himmel bleibt für Stephanus sichtbar. Und es bleibt ihm die Kraft, hier und jetzt der Versöhnung zum Durchbruch zu verhelfen – was für eine große Hoffnung, für diese Welt und in dieser Welt. Amen.