Ostermontag – Leben wieder spüren
Predigt Teil 1 a
Ostern ist das Freudenfest der Christen, liebe Gemeinde.
Der Feiertag der Freude, weil klar wird: Am Ende gewinnt das Leben, nicht der Tod!
Auch für uns: Das Leben wird gewinnen, nicht der Tod.
Trotzdem dürfen wir nicht verschweigen:
Ostern beginnt mit großer Trauer. So berichtet es das Johannesevangelium im 20. Kapitel.
Lesung Johannes 20,11a
Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte
Predigt Teil 1 b
Maria ist am Ende.
Sie hat alles verloren, wofür sie lebte.
Der Mensch, mit dem sie sich verbunden fühlte,
der Mensch, auf den sie ihr Leben ausgerichtet hatte,
der Mensch, dem sie nachgefolgt ist, Jesus, ist tot.
Jesus war der Mittelpunkt ihres Lebens.
In seiner Nähe fühlte sie sich geborgen.
Es ging ihr einfach gut mit ihm.
Seele und Herz hat er ihr geöffnet. Von ihm fühlte sie sich verstanden.
Nun war es zu Ende, alles begraben. Das war vor zwei Tagen. Seitdem hat Maria kaum geschlafen. Sie muss etwas tun, sich bewegen, suchen, sich nochmal vergewissern, ob wirklich wahr ist, was eigentlich nicht wahr sein darf.
Maria macht sich auf den Weg. Irgendwo muss es doch Trost geben und Halt.
Ihre Schritte führen sie dorthin, wo sie dem Verstorbenen nahe sein kann: An sein Grab.
Wohin sollen wir denn gehen, wenn wir jemanden verloren haben?
Wir wissen nicht, wo unsere Toten sind. Doch wir wissen, wo wir sie hingelegt haben.
So gehen sie uns nicht ganz verloren. Das ist ein Trost, und diesen Trost sucht Maria. An diesem Morgen und in diesem Garten. Aber Maria weint.
So wie wir weinen, wenn Lebensentwürfe platzen.
Wenn jemand gehofft hat, dass sich endlich im Beruf ein neuer Weg auftut, aber es wird nichts draus.
Tränen in Familien, die Brüche erleben.
Tränen am Krankenbett.
Tränen am Grab.
Maria schämt sich nicht. Sie weint. Jesus fehlt ihr mit seinen Worten, seinen Gesten, der Art, mit ihr umzugehen, mit ihr zu sprechen, sie anzurühren. Es fehlt der Mann, der auf Menschen zuging und sie fragte: Was willst Du, dass ich Dir tun soll?
Der Kranke und Gelähmte wieder auf die Beine stellte.
Sich an ihn erinnern, tut unendlich weh und gleichzeitig unendlich gut. Wenigstens die Erinnerung ist Maria geblieben.
Erinnerung ist wertvoll. Doch sie bringt mich noch nicht zurück ins Leben.
Ostern ist mehr als Erinnerung.
Lesung Johannes 20, 11b-13
Als Maria nun weinte, schaute sie in das Grab
und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte.
Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du?
Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen,
und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
Predigt Teil 2
Maria kann, was ihr begegnet, nicht als Zeichen der Hoffnung wahrnehmen. Schon gar nicht, dass der Leichnam weg ist.
Lebensentwürfe sind nicht gelungen? Menschen, die ich liebte, sind nicht mehr am Leben? Aber die Orte, an denen ich mich an sie erinnere – die müssen doch bleiben: Briefe, Bilder, Gräber.
Die zwei Gestalten, von denen ein geheimnisvolles Licht ausgeht, auch die trösten Maria nicht. Selbst wenn sie fragen: „Frau, was weinst du?“
So kann es sein: Fixiert auf das, was mir fehlt, was mir genommen ist, was ich betrauere, sehe ich nicht, wer oder was neu auf mich zukommt, mir begegnen will, mich einfühlsam fragt.
Immer noch siegt die Trauer.
Dazu kommt die Wut: “Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben…“
Maria dreht sich um und lässt die himmlischen Gestalten zurück.
Sie spürt etwas hinter sich.
Oder jemanden, eine unbekannte Gestalt. Der muss es sein, denkt sie.
Der hat Jesus weggenommen.
Sie ist empört: „Wenn du ihn weggenommen hast, dann sag mir gefälligst, was du mit ihm gemacht hast.“
Lesung Johannesevangelium 20,14-16
Und als Maria das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.
Spricht Jesus zu ihr:
Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir:
Wo hast du ihn hingelegt?
Dann will ich ihn holen.
Spricht Jesus zu ihr: Maria!
Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch:
Rabbuni!, das heißt: Meister!
Predigt Teil 3
Ein magischer Moment.
Das Wunder von Ostern liegt in diesem einen Wort: „Maria“.
Die Trauer verfliegt.
Mein Leben bekommt einen neuen Sinn, wenn mich jemand mit meinem Namen anspricht.
Ich bin gemeint, unverwechselbar. Das leere Grab hat Maria nicht geholfen.
Aber dass der Lebendige sie anspricht, verändert alles.
Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein.
In diesem einen Wort spürt Maria das Wunder von Ostern.
Jesus lebt.
Sie spürt sich selbst wieder und wird lebendig.
Sie hat ihn gefunden, den sie sehnsüchtig suchte. Er steht vor ihr.
Unglaublich – aber wahr.
Jeder und jede von uns wird angesprochen mit dem eigenen Namen.
Auch die Menschen, von denen wir eben hörten: Leonie, die Schülerin, wird angesprochen von ihren Eltern, die sagen: Fang noch mal neu an.
Werner, der seine Stimme verloren hat, von seinem Enkel, der sagt: Wir schaffen das!
Martina, die ihren Mann verlor, hört die Stimmen der Vögel am Grab singen. Und das Gefühl von Freude keimt leise auf.
Maria.
In diesem einen Wort liegt das Wunder von Ostern.
Hören wir nun den Choral „Der schöne Ostertag“ und dann spreche ich darüber, was dieses Wunder von Ostern für unser Leben bedeutet.
Predigt Teil 4
Ostern ist das große Freudenfest.
Es beginnt mit Trauer. Aber wir bleiben nicht bei der Trauer stehen, liebe Gemeinde.
Maria kann sagen: Hinter mir der Tod, vor mir das Leben.
Können wir das auch sagen?
Die Trauer ist nicht vorbei.
Vielleicht fließen auch weiterhin Tränen. Ostern ist keine Selbstverständlichkeit. Es bedeutet ja: Das Leben siegt!
Doch es ist immer wieder bedroht durch Abschiede und Verluste. Auch bedroht durch unseren eigenen Abschied, auf den jede und jeder von uns zugeht.
Aber angesichts der Tode mitten im Leben und dem Tod am Ende will ich mich festhalten an dem Satz von Jesus: Ich lebe und ihr werdet auch leben!
Und ich will meine Ohren offen halten für diese Botschaft:
Ich werde angesprochen mit meinem Namen.
Auch offen halten dafür, dass Gott mich anspricht durch Menschen, die mich auf die Beine stellen, wenn ich am Boden liege.
Die mir zur Sprache verhelfen, wenn ich stumm bin.
Denken Sie an Momente, wo Sie wieder einen Schritt vor die Tür wagten, und es tat Ihnen gut.
Wo Sie ein Wort wieder aussprachen. Welch eine Erleichterung für alle.
Wo jemand auf Sie zugekommen ist, von dem Sie es nicht erwarteten.
Wo Sie sich trauten, einen Weg zu gehen, der Ihnen bisher verschlossen war.
Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir diese Erfahrungen immer wieder machen. Wie Maria, die wieder zurückfindet ins Leben, als sie ihren Namen hört.
Maria, die diese unglaubliche Geschichte nicht für sich behalten konnte, so dass wir sie heute hören.
Ich werde angesprochen mit meinem Namen.
Und mein begrenzter Horizont weitet sich. Ich bekomme eine Ahnung davon: Der Tod hat keine Macht mehr, allen Gräbern zum Trotz.
Doch mein begrenzter Horizont kann sich nur weiten, wenn ich die Stimme höre, die mich beim Namen ruft. Wenn ich nicht darauf bestehe, dass es der Gärtner ist, der mir begegnet. Oder irgendeine unwichtige Gestalt, die ich vernachlässigen kann in meinem Leben.
Wenn ich die Stimme höre, die meinen Namen ruft und ich spüre, dass der Auferstandene zu mir spricht, mir Mut macht.
Maria weiß, es ist nicht nur Erinnerung: Gelähmte stehen auf, Stumme können sprechen, Tote können leben.
Es ist nicht nur Erinnerung, sondern Gegenwart. Wie gut, dass Maria am Ostermorgen diese unglaubliche Botschaft nicht für sich behalten konnte. Vielleicht mit diesem Lied auf den Lippen: „Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe. Amen."