GOTTESDIENSTÜBERTRAGUNGEN

Ein Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Frankfurt am Main

"Schenken ist göttlich"

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer,

spätestens am zweiten Feiertag fängt das Stöhnen an: viel zuviel gegessen, jetzt ist aber Schluss mit der Völlerei. Alle Jahre wieder diese Fresserei - furchtbar. Schade eigentlich. Nicht dass wir zuviel essen, meine ich. Schade ist, dass wir es bereuen, schade, wenn wir es nicht genießen können. Dass der Tisch voll ist mit Gaben und Köstlichkeiten - das ist doch eine großartige Sache. Übervoll. Überfließend. Die Fülle. Dass es soviel zu essen gibt an Weihnachten, hängt nicht nur daran, dass die meisten von uns im Überfluss leben. Der Wunsch nach Fülle steckt tief in uns und hat eine lange Geschichte. Wo Armut herrschte und vielleicht heute noch herrscht, wo Hunger war und vielleicht heute noch ist, da gehört es dazu, dass für ein Fest angespart, gesammelt, zusammengefügt wird.

Ein Festmahl soll es werden. Einmal die Fülle genießen, großzügig sein, nicht sparen müssen, nicht kontrollieren, wer was isst und wem was zusteht. Ohne Vorbehalte austeilen können, teilen - und es reicht für alle. Weil genug da ist, köstliches Essen. Und wenn es gut ist, dann auch Verständnis und Zeit füreinander, alles in Fülle. Und wenn es nur einmal im Jahr ist. An Weihnachten. Nicht sparsam, sondern üppig, üppig mit Gaben und Geschenken, üppig mit allem, was wir genießen können, was über unseren Alltagsbedarf hinausgeht. Spüren, wie freundlich der Herr ist. Geiz und Gier, geradezu die Kennzeichen unserer Gesellschaft, an Weihnachten außer Kraft setzen, weil wir wissen: es ist genug da. Schade auch, wenn wir uns diese kostbare Fülle kaputtmachen mit Verpflichtungen und Zwängen, wenn das Gefühl entsteht, das muss ich noch, dazu bin ich verpflichtet, daran hätte ich denken sollen.

Weihnachten, das Fest der Fülle. Genießen können, was uns geschenkt wird. In armen Zeiten muss die Fülle dem Mangel abgetrotzt werden. Heute müssen wir die Fülle dem Alltag, unserer Tretmühle, den Verpflichtungen abtrotzen. Denn wenn die Verpflichtungen die Menschen beherrschen, dann hätten doch die Hirten niemals ihre Herde verlassen dürfen! Die Weisen hätten doch niemals den Hofstaat ihrer Könige verlassen dürfen. Und die Jüngerinnen und Jünger Jesu niemals ihre Berufe, ihre Familien, ihre Verpflichtungen im Leben. Aber sie haben alle eins gespürt: Da ist ein neuer Reichtum fürs Leben. Dafür lohnt es sich. Und wir, zweitausend Jahre später, wir inszenieren an Weihnachten Tische voller köstlicher Speisen und Getränke, Räume voller Schmuck und Geschenke, alles in Pracht und Fülle. Lasst uns nicht klagen: Es ist zuviel, ich habe wieder zugenommen. Lasst uns genießen und erzählen, was es alles Gutes gab und wie wir es genossen haben.

Die Fülle genießen. Der voll gedeckte Tisch als Zeichen für eine Fülle, die wir an Weihnachten erleben können. Die Geschenke, die wir uns machen, die Spenden, die wir in alle Welt senden, die Zuwendung füreinander, sind Zeichen für ein Geschenk, das uns von Gott gemacht wird. So hat die alte Kirche Weihnachten verstanden: das große Geschenk Gottes an uns. Gott schenkt sich uns selbst im neugeborenen Kind. Das ist Weihnachten! Die Geburt des Kindes im Stall von Bethlehem - damit beschenkt uns Gott. Aus seinem Reichtum beschenkt uns Gott, überschüttet uns mit Güte. Gott bleibt nicht Wort oder Gedanke oder Überzeugung. Gott bleibt nicht Macht außerhalb und entfernt von uns. Gott bleibt nicht unantastbar und unsichtbar. Gott bleibt nicht Schöpfergott, der alles in Gang gesetzt hat und sich nun zurück gezogen hat. Gott tritt ein in unsere Welt, wird Mensch, nimmt Menschengestalt an. Vor Urzeiten haben Christen dies als das große, nicht zu übertreffende Geschenk an uns Menschen verstanden und es sollte allen zugute kommen. Es sollte nicht gefragt werden, wer hat was verdient und was steht wem zu. Von seiner Fülle haben wir alle genommen, aus Gottes Fülle empfangen wir Gnade um Gnade. So formuliert Johannes es in seinem Evangelium. Johannes sagt: Wir empfangen dieses Geschenk, wir erhalten es so, wie wir Geschenke von einander bekommen. Wir müssen uns nicht verschämt sagen: Ach, das habe ich doch nicht verdient, das ist doch zu viel. Nein, wir dürfen zugreifen. Es ist genug für alle da. Ja, es ist mehr als genug. Und zuviel des Guten gibt es nicht.

Weihnachten, die Geburt Jesu, feiern wir als Geschenk Gottes an uns. Schenken ist göttlich! Die drei Weisen aus dem Morgenland, die heiligen drei Könige, kommen mit den wertvollsten Geschenken. Wunderbar sind die Kästchen und Dosen und Boxen auf Gemälden und Ikonen und Darstellungen der verschiedenen Jahrhunderte. Die Weisen reagieren auf das Gottes Geschenk ihrerseits mit Geschenken. Und wir - wir tun das bis heute. Wir machen einander Freude, weil wir die Freude weitergeben wollen, die die Geburt Jesu für die Menschheit bedeutet. Wir packen die Fülle auf unsere Tische und unter unsere Weihnachtsbäume, weil wir das Schenken feiern: Gottes Geschenk an uns und wir schenken weiter. Schenken ist göttlich!

Schenken ist göttlich! Daran glauben wir mit Weihnachten. Und ich frage mich, wie wir es schaffen, dass das Schenken auch menschlich wird.  Denn manche unserer Geschenk-Rechnungen sprechen dagegen. Wie war das noch mal? Was hat sie mir noch mal letztes Jahr geschenkt? Und was war das wert? Und ist das genug, was ich jetzt eingepackt habe? Oder auch anders herum: Von dem hab ich seit drei Jahren nichts Gescheites mehr gekriegt. Da muss ich mir auch keine großen Gedanken machen. - So klappt das nicht mit dem Schenken!

Lassen wir uns also ein auf menschliches Schenken, das das göttliche Schenken nachahmt. Machen wir uns umeinander Gedanken, wie Gott sich Gedanken um uns, um seine Welt macht. Bieten wir die Fülle an, so wie Gott uns die Fülle des Lebens anbietet und uns von seiner Gnade nehmen lässt. Ohne Hader, dass andere mehr oder scheinbar Besseres bekommen. Vielleicht eher mit der Haltung von Kindern, von denen wir lernen können wie Schenken geht. Wenn sie das selbstgebastelte, selbstgemalte, liebevoll verpackte Geschenk präsentieren und voller Spannung darauf warten, wie ihr Geschenk bei uns wohl ankommen wird. Die Freude an der Freude der anderen, die Freude daran, Geschenke zu machen - das ist es, was Schenken ausmacht. Und so stelle ich mir vor, so ist auch Gott voll Spannung, wie sein Geschenk, das göttliche Kind, die Fülle des Lebens bei uns ankommt, darauf wartet, wie das bei uns ankommt. Die Freude am Schenken, das können wir uns bei den Kindern, das können wir uns bei Gott abgucken.

Und das gilt in der Familie ebenso wie in unserem alltäglichen Umgang miteinander und wohl sogar zwischen Völkern. Auch da nicht zu fragen: Was haben die mehr? Und warum muss ich abgeben? Sondern die Freude, dass es auch anderen gut geht, gut gehen soll, gut gehen darf. Dann ist der Geber nicht mehr oder größer als der Beschenkte. Nicht der eine stark, und der andere schwach. Brot für die Welt, für das wir heute sammeln, lebt genau von der Idee: Dass die, die geben, nicht stärker sind und größer, als die, die bekommen. Was uns zum Geben reizt, ist Freude an der Freude der anderen. So antworten wir auf das große Geschenk Gottes an Weihnachten. Schenken ist göttlich! Amen.