GOTTESDIENSTÜBERTRAGUNGEN

Ein Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Butzbach

Gottesdienstübertragung zum Pfingstsonntag

Gottesdienstübertragung zum Pfingstsonntag

aus der evangelischen Markuskirche Butzbach

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus! Liebe Hörer und Hörerinnen am Radio, liebe Gemeinde hier in Butzbach!

Erinnern Sie sich noch an Ihre Jugend? Ihre Begeisterungsfähigkeit? Ihre Ideale, Ihr Engagement? Was hatte ich nicht an hehren Vorstellungen im Kopf, großen Ideen, wichtigen Gedanken. Gerechtigkeit für alle war mir wichtig, Freiheit, Frieden. Nächtelang haben wir über so etwas diskutiert. Waren begeistert von den Möglichkeiten des Menschen. Ich vermute, Sie kennen das auch.

Meine Eltern, meine Lehrer, die Generation der Erwachsenen hat damals von „Flausen im Kopf“ gesprochen. „Das Leben ist nicht so.“ „Die Gesellschaft funktioniert nun einmal nach einer bewährten Ordnung und die muss sein.“ Ja, das habe ich inzwischen auch eingesehen, dass eine Gesellschaft nach einer Ordnung funktionieren muss. Ja, wahrscheinlich war auch manches, oder ganz vieles, was ich damals begeistert dachte und sagte mit dem Wort „Flausen“ ganz gut beschrieben. Vielleicht hatten Sie ja auch „Flausen“ im Kopf, damals.

Und dann: die erste große Liebe. Die große Verliebtheit, den Rausch der Verschmelzung zweier Menschen. War das nicht großartig? Ich wünsche Ihnen, dass sie das mal erlebt haben. Irgendwann erwacht man aus diesem Rausch. „Huch, die Verliebtheit ist ja weg.“

Vielleicht – im besten Falle – war dem Rausch nicht der Kater gefolgt, sondern eine beständige Liebe, ein tiefes Vertrauen und Verständnis. Aber der Rausch war vorbei - unwiederbringlich, damit kehrte wieder Ordnung ins Leben ein. Ordnung und hoffentlich nicht nur Langeweile.

Oder auch der Berufsanfang. Mein Berufseinstieg war geprägt von vielen neuen Ideen. Was wollte ich nicht alles in Bewegung setzten. Manches hat ja funktioniert aber: Wo habe ich nicht überall Federn lassen müssen, weil die neuen Ideen nicht funktionierten oder eben gar nicht mehr so neu waren. Die erfahrenen Kollegen hatten ja gleich gewarnt oder auch abgewunken.

Ja, ich habe eingesehen: Ordnung ist das halbe Leben. Es geht nicht ohne, nicht im Zusammenleben der Generationen, nicht im Leben von Familien, nicht im Beruf. Wir brauchen Regeln, an die sich alle halten. Wir brauchen Werte, Normen, die verbindlich sind. Wir brauchen eine Struktur im Leben.

Auch die Jünger Jesu haben „Flausen“ im Kopf, so wie ich damals. Ein Brausen hat sie gepackt und nicht mehr losgelassen. Sie mussten raus. Unter die Leute. Sie mussten darüber reden. Und sie reden. Sie erzählen von dem, was sie begeistert. Von Jesus; von Gottes Liebe, davon, dass diese Liebe stärker ist als der Tod.

Und die Menschen um sie herum? Sie verstehen. Sie können in ihren eigenen Sprachen verstehen, was die Jünger sagen. Und sie verstehen zugleich nicht. Denn die Begeisterung, der Überschwang, das ist ihnen unheimlich. Zu unordentlich. Zu chaotisch. „Die sind ja betrunken!“ sagen die Leute, die damit sogleich versuchen, die Ordnung wieder herzustellen. Bloß keinen Rausch entstehen lassen. Bloß keine Begeisterung, die vielleicht unsere Ordnung gefährdet. „Besoffen sind sie“, so kann man die Jünger gleich wieder abtun.

Ja, Ordnung ist das halbe Leben. Es geht nicht ohne. Und – vielleicht haben die Leute mit ein wenig Lebenserfahrung ja auch nicht ganz unrecht mit ihren Vorbehalten. Denn wer kann die Geister die da wehen schon unterscheiden? Wer kann garantieren, dass das Gottes Geist ist? Politische und religiöse Fanatiker haben immer wieder viel Unheil über die Menschheit gebracht. Immer wieder haben Menschen ihr Charisma missbraucht zur Verführung anderer. Denken wir an charismatische Redner wie Hitler, denken wir auch an charismatische Hassprediger, die es in jeder Religion gibt. Ich selbst werde immer misstrauisch, wenn mich Redner mit allzu viel Charisma manipulieren wollen.

Aber andererseits: Woher kommt denn unsere Energie, unsere Antriebskraft, die uns voranbringt? Ich glaube, wir brauchen Begeisterung. Begeisterung fürs Leben und Begeisterung für den Glauben. Das eine wie das andere kann nicht ohne Begeisterung sein.

Pfingsten ist das Fest der Begeisterung. Ordnung ist das halbe Leben, aber eben auch nur eine Hälfte. Wir brauchen es, ab und zu durchgerüttelt zu werden von dem unordentlichen, heiligen Geist Gottes. Unser Glaube braucht das und unser Leben braucht das auch. Sonst wird aus dem Sinn für die rechte Ordnung Öde und Langeweile.

Die Jünger lassen an Pfingsten so richtig den Geist rein - und auch wieder ´raus. Das ist gut so, denn so kann etwas Neues entstehen. Die Botschaft, dass Gott die Menschen liebt, alle und ohne Ansehen der Person, kann so die Runde machen. Die Botschaft, dass Gott den Tod der Menschen aus Liebe auf sich genommen hat, um ihnen ganz nahe zu sein, in ihrem menschlichen Leid, geht von Pfingsten aus. Die Botschaft, dass dieser Gott tot war und sich als stärker erwies als der Tod, wird von Petrus und den Seinen verkündet.

Das hat sie begeistert und das kann auch mich begeistern. Das sollte mir vielleicht ab und zu die übertriebene Ordnungsliebe austreiben und kann mir ermöglichen, mich dem Augenblick hinzugeben. Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heils. Und die Botschaft macht die Runde: Wo die Liebe und die Güte ist, da ist Gott. Ubi caritas et amor…

„Ordnung ist nur das halbe Leben“, so haben wir unseren heutigen Gottesdienst genannt. Das Leben braucht auch Unordnung, Kreativität, Freiheit. Denken wir an lebendige Gartenerde, einen strukturieren und doch lebendigen, vielfältigen Ackerboden, der nicht durch Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel sterilisiert wurde. In dem Regenwürmer und Engerlinge leben, in dem vielerlei Pilze und Pflanzen gedeihen. In dem fruchtbares Chaos die Lebenskraft immer wieder erneuert und eine klare Struktur von Bodenschichten die Durchlässigkeit schafft, die nötig ist. Ordnung und Chaos ergänzen sich da zu einem perfekten Beet.

Beides hat sein Recht und ist nötig. Ordnung und manchmal eben auch die ungezügelte Begeisterung. Was kann herauskommen, wenn wir die rechte Balance zwischen beidem finden? Wie könnte das Leben aussehen? Lebendig und doch verbindlich. Kraftvoll, aber nicht rücksichtslos. Geistreich und verständnisvoll, menschlich und begeistert. Dazu drei kurze Gedanken:

Erstens. An Pfingsten wird jedem von uns Christinnen und Christen der Geist Gottes direkt zugesagt. Darum ist das Pfingstfest als Fest des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen anzusehen. Wir werden als mündige, erwachsen Glaubende ernst genommen. Kein Priester, keine Kirchenhierarchie kann sich zwischen uns und Gott stellen. Jeder Christ hat darum Mitspracherecht in unserer Kirche. Das ist ein Grundgedanke, der unseren Glauben zutiefst demokratisch macht.

Zweitens. Pfingsten: wir feiern die Freiheit, wir feiern, dass wir verantwortlich sind für unser Leben. Durch den Geist Gottes werden wir in die Freiheit entlassen und darum auch in die Verantwortung gestellt. Wir können und dürfen unser Leben selbstverantwortlich gestalten. Das ist eine kraftvolle Lebensweise, die aber aus Verantwortung nicht rücksichtslos wird. Ja, wir nehmen unser Leben selbst in die Hand und wir werden der Verantwortung gerecht, die uns aus unseren Gaben und Aufgaben erwächst.

Drittens. Mit ekstatischer Begeisterung, wenn man \"ganz aus dem Häuschen\" ist, "außer sich" vor Glück, haben wir Evangelischen sonst nicht so viel am Hut. Außer beim Fußball vielleicht. Und an Pfingsten? Wir können das nicht machen, der Geist Gottes ist so wenig verfügbar wie die ganz menschliche Begeisterung. Er weht wo er will, nicht wo wir wollen. Aber wir können ihm vielleicht Raum freihalten. Uns selbst und anderen erlauben, Begeisterung zu zeigen und zu leben. Nicht nur beim Fußball, aber da natürlich auch.

Ich wünsche uns immer wieder mal „Flausen im Kopf“. Ich wünsche uns, dass wir ab und an mal den Geist zulassen, denn „Ordnung ist nur das halbe Leben“. Ich wünsche uns frischen Wind an diesem Pfingstfest, der unser ordentliches Leben gründlich durchlüftet.

Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.