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Brücken bauen
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Brücken bauen

Ein Beitrag von Martin Berker, Katholischer Pfarrer, Pfarrei Sankt Josef in Neu-Isenburg
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Wie faszinierend Brücken sind, hab ich vor zwei Jahren im Sommerurlaub in Österreich erlebt: Wir waren in Reutte auf der Hängebrücke, die Highline 179, die ich mit Freunden überquert habe. Die luftige Hängebrücke ist 114 Meter hoch und hat eine Spannweite von beachtlichen 406 Metern. Damit ist sie die weltweit längste Fußgänger-Hängebrücke und steht als solche sogar im Guinness-Buch der Rekorde. Wir waren alle entschlossen, über die Brücke zu gehen, aber als wir davorstanden und es darum ging, den ersten Schritt zu setzen, sind zwei von uns zurückgeblieben. Ich hab mich erst mal getraut, und am Anfang war es auch kein Problem für mich, die Brücke zu begehen, aber je weiter weg ich vom Startpunkt war, umso mehr begann die Brücke zu wackeln.

Sie führen ins Vertraute, aber auch ins Ungewisse 

Die vielen Personen, die auf der Brücke waren, haben die Brücke ziemlich ins Schwanken gebracht, obwohl kein Wind wehte. Ich habe gemerkt: Ich brauche Sicherheit und habe mich an dem dicken Stahlseil festgehalten. Die Sicherheit kam zurück, aber der Respekt vor der Höhe blieb. Als ich auf der anderen Seite angekommen bin, war ich froh, dass ich es geschafft hatte. Der Rückweg ging schneller und beschwingter, weil ich wusste, was mich erwartete. Das Geländer und die Stahlseiten gaben mir Sicherheit. Mir wurde danach wieder deutlich: Brücken führen ins Vertraute, aber auch ins Ungewisse. 

In der Tat etwas Imponierendes

Brücke - wenn ich dieses Wort höre, habe ich gleich dieses Bild vor Augen, die Hängebrücke aus dem Urlaub. Mit Recht wird behauptet, dass Brücken etwas Faszinierendes an sich haben. Dies gilt insbesondere für die schönen, berühmten Brücken, die uns als Sehenswürdigkeiten bekannt sind. Ich denke beispielsweise an die Engelsbrücke über den Tiber in Rom mit ihren zehn prachtvollen, durch Bernini und seine Schüler geschaffenen Engeln, oder an die Karlsbrücke über die Moldau in Prag mit ihren dreißig Heiligen-Figuren. In der Tat etwas Imponierendes und Anziehendes!

Wahre Bau- und Statikkünstler müssen da am Werk gewesen sein. Vielleicht denken Sie aber auch an eine ganz andere Brücke, die Sie irgendwo einmal gesehen oder sogar überquert haben, vielleicht auf einer Reise, in einem Urlaub. Ein wie auch immer beeindruckendes Bauwerk, womöglich aber auch eine ziemlich wackelige Hängebrücke, mit der Sie ein bestimmtes Erlebnis verbinden.

Musik 1: Arcangelo Corelli, Concerto da chiesa D-Dur op. 6,7. 1. Satz: Vivace-Allegro-Adagio (Ensemble 415, Chiara Banchini, Jesper Christensen).

Brücken können wirklich sehr, sehr unterschiedlich sein. Aber immer verbindet eine Brücke etwas! Sie führt über Wasser, über ein Meer, über einen Abgrund. Eine Brücke kann eine Verbindung herstellen zwischen Stadtteilen oder sogar Ländern und Kontinenten, wie z.B. in Istanbul im Bosporus zwischen Europa und Asien. Aber nicht nur im geographischen Zusammenhang bedeutet Brücke eine Verbindung. 

 Brückenbauer sind Gold wert

Kaum ein Bauwerk hat stärkeren Symbolcharakter als die Brücke. Sie ist nicht nur in Redewendungen verankert, sondern ruft auch unterschiedliche Assoziationen hervor. Man kann die Zeit „überbrücken“, „goldene Brücken bauen“, um jemandem die Anpassung seiner Vorgangsweise zu erleichtern; um Gräben zu überwinden, werden “Brücken geschlagen“ – im symbolischen wie im wörtlichen Sinn.

Schließlich leitet sich auch der Titel des Papstes als „Pontifex“ –  Brückenbauer – von Brücken her. Seit Jahrtausenden sind Brücken Orte der Verbindung und der Begegnung.

Brücken schütten Gräben nicht zu und ebnen Unterschiede nicht ein. Sie schaffen Hindernisse nicht weg, aber ermöglichen dennoch Begegnung. Wenn ich gerade die Weltsituation und Europa in den Blick nehme, dann braucht es im Moment gute Brückenbauer, damit Friede und die Fortsetzung des gemeinsamen Weges in der europäischen Gemeinschaft erhalten bleiben. Ein Symbol dafür ist auch der Brückenbogen, der auf der Rückseite jeder Eurobanknote abgebildet ist. Brückenbauer sind Gold wert.

Überall in der Bibel finde ich Verse, die dazu ermutigen, Brücken des Glaubens, der Liebe und der Versöhnung zu bauen. Diese Brücken verbinden nicht nur mit Gott, sondern auch die Menschen untereinander.

Musik 2: Johann Heinrich Schmelzer, Sonata a tre violini. 1. Satz: Andante (London Baroque).

Brücke im Alten Testament

Im Alten Testament kommt das Wort „Brücke“ nicht vor, dafür jedoch ein Zeichen, das sehr an die Form einer Brücke erinnert: der Regenbogen. Das Zeichen des Bundes, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat.

Nach der Sintflut und der Rettung Noahs, seiner Familie und der Schöpfung heißt es: „Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde. (…) Steht der Bogen in den Wolken, so werde ich auf ihn sehen und des ewigen Bundes gedenken zwischen Gott und allen lebenden Wesen, allen Wesen aus Fleisch auf der Erde.“ (Genesis 9, 12-13.16)

Es sind die großen Bundeszusagen Gottes den Menschen gegenüber, die bis heute Gültigkeit besitzen. Mit dem Zeichen des Regenbogens setzt Gott ein sichtbares Zeichen, das die Menschen erkennen lässt, dass er sein Wort hält und das wahr macht, was er zugesagt hat: Den Menschen nahe zu sein und seine Gegenwart zu zeigen. „Siehe, ich richte meinen Bund auf mit euch und mit euren Nachkommen nach euch und mit allen Lebewesen bei euch…“ (Gen 9, 8ff), heißt es am Anfang der Heiligen Schrift. Seither steht der Regenbogen als sichtbares Zeichen seiner Selbstverpflichtung am Himmel, die der ganzen Welt gegenüber gilt.

Jesus Christus - die Brücke Gottes zu uns Menschen

Mit Weihnachten und der Menschwerdung Jesu hat Gott eine Brücke errichtet, die uns Menschen eine neue Sicherheit verspricht. Jesus Christus ist gekommen, um uns Rettung, Erlösung und Segen zu bringen. Seine Botschaft der Gottes- und Nächstenliebe steht für seinen Auftrag und sein Lebenswerk.

Eine Erzählung aus dem Neuen Testament zeigt für mich besonders, wie stark Jesus ein Brückenbauer war. Jesus sucht den Zöllner Zachäus auf, um ihm zu begegnen, ihm zu zeigen „Du bist wichtig und geliebt!“. Die Begegnung mit Jesus verändert seine Lebenssicht. Jesus baut Brücken zu Menschen, die sonst eher isoliert waren und als Sohn Gottes ist er noch einmal besonders selbst eine Brücke: eine Brücke zwischen Gott und den Menschen, zwischen Himmel und Erde. Nicht nur zu Zöllnern und Sündern hat Jesus Brücken gebaut, sondern auch zu Kranken, die isoliert waren, die manchmal aus eigener Schuld, öfter aber wegen bestimmter gesellschaftlicher Bedingungen am Rande standen. Frauen, die in einer patriarchalen Umwelt in der Öffentlichkeit nichts galten, hat er als ebenbürtige Gesprächspartnerinnen behandelt und in seine Nachfolge gerufen. Er hat nicht nur von Verzeihen und Versöhnung gesprochen, seine Worte waren stets von Taten begleitet. Er hat Menschen innerlich aufgerichtet, ihnen Ansehen verliehen und einen Platz in der Gesellschaft wieder ermöglicht. 

Hindernisse zu überschreiten und Gräben zu überwinden

Um eine Brücke zu bauen, die Halt, Stabilität und Sicherheit gibt, die eine lange Lebensdauer hat, bedarf es nicht nur architektonisches und statisches Können, sondern auch Erfahrung und Mut. Oft haben wir es schon erlebt, dass gut konstruierte Brücken bald schon einsturzgefährdet waren oder gar eingestürzt sind. Denken wir an den Brückeneinsturz im September des vergangenen Jahres in Dresden oder die gesprengte und wiederaufgebaute Salzbachtalbrücke bei Wiesbaden, wo der Wiesbadener Hauptbahnhof über Monate vom Zugverkehr abgeschlossen war. In den Brücken im Zug- und Autoverkehr merken wir, wie wichtig stabile Brücken sind, wie man sie pflegen und immer wieder in Stand halten muss. Dies darf uns aber nicht davon abhalten, trotzdem immer wieder mit unserem Können und neuen Erkenntnissen Brücken zu konstruieren und zu bauen, um Hindernisse zu überschreiten und Gräben zu überwinden, um Begegnung zu ermöglichen. Auch andere Brücken gilt es zu bauen und zu pflegen: zwischen den Menschen, auch zwischen Mensch und Gott.

Für mich sind auch Heilige Brückenbauer, die mir zeige, wie zwischenmenschliche Brücken gebaut werden können.

Heilige als Brückenbauer

Die Heiligen haben die Welt immer wieder neu mit Gott verbunden. Dafür gibt es in der Kirchengeschichte unzählige Beispiele von Männern, Frauen und sogar Kindern: Sie waren unerschrockene Zeugen, eifrige Seelsorgerinnen, sorgende Hirten, liebende Eltern, Helfer in der Not, fromme Seelen. In ihrem Leben wurden sie zum Vorbild für viele. Sie machten den Glauben erfahrbar und greifbar. So haben sie auf ihre Weise eine Brücke in den Himmel geschlagen, die Zugang zur Wirklichkeit Gottes eröffnete. Der heilige Martin z. B. hat sich sein Leben lang als Brückenbauer verstanden. Als Bistumspatron und mein Namenspatron ist er mir Vorbild und Begleiter. Martin hat immer wieder Brücken zu Gott gebaut und Gott die Möglichkeit gegeben, in der Welt zu wirken. Er hat sich als sein Werkzeug verstanden. Gott war für ihn eine täglich erfahrbare Wirklichkeit. Das war für Martin die wichtigste Motivation seines Glaubens und Handelns. Seine Biographie hebt übrigens hervor, dass dies auch vor seinem Christwerden und der Mantelteilung Prinzip seines Lebens war. Er sah im anderen Menschen immer schon den Bruder oder die Schwester, denen er in Liebe und Toleranz begegnet ist.

Das Lebenszeugnis der Heiligen ist wie ein Zuruf: „Das kannst du auch!“

Es gibt sogar einen Heiligen, der besonders mit den Brücken verbunden ist und auch auf unzähligen Brücken zu finden ist:  Der Heilige Johannes Nepomuk, bekannt als „Brückenheiliger“. Mit einem Augenzwinkern gesagt: Er ist gerne an der frischen Luft. Denn Statuen mit seiner Darstellung finden wir wenige im Inneren unserer Kirchen, sondern im Freien auf Brücken, die über Flüsse oder Bäche führen. Er wurde (1393) von der Prager Karlsbrücke in den Tod gestürzt, weil er das Beichtgeheimnis nicht brechen wollte. Er hat aber vor allem im Spannungsfeld von Glauben und Politik gelebt und auf der Seite der Armen und Unterdrückten gestanden. Wo er konnte, hat er versucht, als Brückenbauer und Vermittler tätig zu sein.

Musik 3: Arcangelo Corelli, Concerto da chiesa D-Dur op. 6,4. 2. Satz: Adagio-Vivace.

Brücken zu anderen bauen

Martin Buber hat einmal folgenden Satz gesagt: „Alles menschliche Leben ist Begegnung.“ Wenn Gott den Menschen auf Gemeinschaft hin geschaffen hat, dann ist es das Bild der Brücke, das besonders zum Menschen passt, nicht das Bild der Mauer, die abgrenzt und trennt. Brücken verbinden, ermöglichen gegenseitiges Verstehen, eröffnen Beziehungen. Sie erfordern den persönlichen Entschluss, Altes, Vertrautes zurückzulassen und Neues kennenlernen zu wollen.

Wenn ich mich auf eine Brücke begebe, lasse ich meinen persönlichen Ausgangspunkt zurück und kann diesen aus der Perspektive meines Gegenübers betrachten. Es erschließt sich eine neue Sicht auf meinen eigenen Standpunkt, und gleichzeitig komme ich meinem Gegenüber näher – was für eine wunderbare Erfahrung!  Auch in dem Prozess, den wir im Bistum Mainz gerade beschreiten, dem pastoralen Weg, erlebe ich dies zurzeit immer wieder, wenn verschiedene Meinungen und Sichtweisen aufeinandertreffen. Nach Gesprächen und Austausch wird eine für viele gangbare Lösung gefunden. 

Menschen, die nicht müde darin werden

Ich glaube: Brückenbauer sein, das ist heutzutage in vielen Bereichen und Berufen gefragt, völlig unabhängig von der Ausbildung. Auch als Pfarrer will ich immer mehr zum Brückenbauer werden. Unsere Welt, in der so oft nur noch nach höchstmöglicher Effizienz gefragt wird, in der ständig Kosten- und Nutzenrechnungen aufgestellt werden, braucht in Wahrheit vor allem Menschen, die nicht nur die eigenen Bedürfnisse sehen - Menschen, die sich nicht scheuen, für andere einzustehen, die jedem Lebewesen mit Achtung begegnen - Menschen, die nicht müde darin werden, nach Wegen der Verständigung und der Versöhnung zu suchen, wo Konflikte und Hass scheinbar unüberwindliche Mauern aufgerichtet haben. 

Menschen mit Profil sind gefragt

Gerade in einer Zeit, in der viele diktatorische Machthaber Regierungen bilden und antidemokratische Kräfte durch Hass und Verunglimpfungen zur Spaltung der Gesellschaft beitragen, brauchen wir verantwortungsvolle Brückenbauer: Menschen, die sich beständig und mutig für Wahrheit und Gerechtigkeit einsetzen, für Versöhnung und Frieden.

Unsere Gesellschaft, in der in vielerlei Hinsicht die Gegensätze immer größer werden, kann ohne solche Menschen nicht auskommen: Menschen mit Profil - Jesus war einer, aber auch nicht wenige Frauen und Männer späterer Zeiten, die seiner Spur folgten. Menschen mit Profil sind gefragt, heute und auch morgen - nicht auf dem Markt der Sensationen und Eitelkeiten, aber für die Ermöglichung einer friedlichen und lebenswerten Zukunft. WIR sind gefragt!

Lassen Sie uns miteinander Brückenbauer und Brückenbauerinnen sein! In diesem Sinne will ich mit einem Gebet beschließen.

„Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen, gib mir den Mut zum ersten Schritt. Lass mich auf deine Brücken trauen, und wenn ich gehe, geh du mit. Ich möchte gerne Brücken bauen, wo alle tiefe Gräben sehn. Ich möchte hinter Zäune schauen und über hohe Mauern geh‘n. Ich möchte gern dort Hände reichen, wo jemand harte Fäuste ballt. Ich suche unablässig Zeichen des Friedens zwischen Jung und Alt. Ich möchte nicht zum Mond gelangen, jedoch zu meines Feindes Tür. Ich möchte keinen Streit anfangen; ob Friede wird, liegt auch an mir. Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen, gib mir den Mut zum ersten Schritt. Lass mich auf deine Brücken trauen, und wenn ich gehe, geh du mit.“ (Kurt Rommel)

Musik 4: John Ward, In Nomine II (Fretwork).

 

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