
Leben wie Kinder für eine Kirche mit Zukunft
„Hier geht es ja zu wie im Kindergarten!“ Wenn jemand so etwas sagt, dann verbindet man das meist mit etwas Negativem. Hier ist Chaos, hier geht es durcheinander und hoch her. Und zugegeben, in einer Kindertagesstätte, wie es in professionellen Kreisen betitelt wird, geht es manchmal wirklich rund. Das durfte ich schon oft erleben, wenn ich als Pfarrer in Kindertagesstätten zu Gast war und immer noch bin zum Beispiel, um mit den Kindern Gottesdienst zu feiern. Da sind die ganz Kleinen, die manchmal noch so vor sich hin grabbeln und in alle Himmelsrichtungen unterwegs sind und die schon größeren Kinder, die einen mit wachen Augen anschauen, voller Erwartung, über was wir heute im Gottesdienst sprechen werden. Da kommen Kinder aus allen Ecken der Einrichtungen zusammengelaufen.
Das Ganze ist gut mit einem Ameisenhaufen zu vergleichen. Da ist einfach viel los, da geht es rund. Aber eigentlich sollte es überall genau SO zugehen wie im Kindergarten. Damit meine ich nicht die Geräuschkulisse oder das doch geordnete Chaos, das dort herrscht, sondern den Umgang miteinander. Der ist nämlich so ganz anders als bei uns Erwachsenen, der ist ganz anders als in der Politik, in der Kirche und der Gesellschaft. Der Umgang ist - echt.
Kindergeburtstag ist angesagt
Besonders bewusst wird einem das, wenn der Geburtstag eines Kindes in der Gruppe gefeiert wird. Alle sitzen beisammen, nachdem sie den Tag mit Spielen begonnen haben, und frühstücken miteinander. Das Geburtstagkind darf vielleicht eine Krone tragen, wenn es das möchte, und der Sitzplatz ist besonders geschmückt. Dem Geburtstagskind gilt heute die Aufmerksamkeit. Die Kinder stimmen ein Lied an. Meist singt man dann „Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten Dich sonst sehr vermisst“. Sie kennen es bestimmt. Ich vermute mal, auch Sie summen gerade innerlich die Melodie, oder?
Die Kinder stimmen mit den Erzieherinnen und Erziehern in das Liedchen ein. Und – alle freuen sich. Alle freuen sich mit dem Geburtstagkind, das ebenso erfüllt die Mundwinkel zum Lächeln formt. Wenn man solch eine Szene beobachtet, dann fällt einem schnell etwas auf – die Stimmung ist ehrlich, das ist alles echt. Da ist wirkliche Freude im Raum. Denken wir da mal an unsere Geburtstagsfeiern mit Kollegen. Da ist die Stimmung manchmal gezwungen, angestrengt und oft mit der Hoffnung geschwängert, dass die Feier hoffentlich bald ein schnelles Ende findet. Bei den Kindern ist das anders. Bei ihnen gibt es keine aufgesetzte „Gute-Laune-Stimmung“.
Von Kindern lernen
Kinder sind unbefangen, sind vorurteilsfrei, sind grundehrlich und können sich einfach mal mit anderen freuen. Können ohne Bedienung Liebe schenken und empfangen. Hat nicht Jesus schon damals versucht, genau das den Menschen zu sagen?! „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…“
Musik
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Diesen Satz lesen wir im Matthäusevangelium. Das ist eine klare Ansage von Jesus. Wenn wir Teil seines Reiches sein wollen, müssen wir Liebe schenken und Liebe zulassen – bedienungslos, wie das eben die Kinder tun können. Ich glaube, dass das für Erwachsene eine wirkliche Herausforderung ist, denn in unseren Köpfen spielt sich so viel ab, was uns ganz einfach davon abhält. Was da in unseren grauen Zellen so vorgeht, ist vielfältig, komplex und trägt viele Namen. Da ist Neid, weil es anderen besser geht und Missgunst, weil alle anderen ja immer einfacher durchs Leben kommen. Da versteckt sich die Angst, dass andere besser oder beliebter sein könnten und einem am Ende noch den Rang ablaufen. Wir sehen uns von Machtverlust, Isolation und niederem Status bedroht.
Außerdem beschneiden wir vielleicht gar unsere Freiheit und unseren völlig autonomen Lebensstil, wenn wir andere Menschen in unser Leben einbinden und uns auf diese zwischenmenschlichen Beziehungen bedienungslos einlassen würden. Wir wollen frei sein – Beziehungen können da störend wirken. Und sind wir ehrlich – manche Menschen sind uns einfach zu anstrengend. Als Gott den einen oder die andere erschaffen hat, muss er wohl einen schlechten Tag gehabt haben, denkt man sich.
Und dann diese Andersartigkeit von Religionen, Kulturen, Weltanschauungen und Einstellungen. Nein. Das bringt einen doch nur aus der Ruhe. Wahrscheinlich könnte man diesen Reigen jetzt noch endlos fortführen. Es gibt so viele Dinge, die uns davon abhalten, unvoreingenommen zu sein, frei zu sein, anderen Menschen mit Liebe zu begegnen und uns auch bedienungslos von ihnen beschenken zu lassen. Schade eigentlich! Ja, wirklich schade, denn anders wäre es doch viel schöner, viel fruchtbarer, viel erfüllender. Aber es fällt schwer, über den eigenen Schatten zu springen.
Musik
Das gilt nicht nur für Dich und mich ganz privat. Gleiches können wir im großen Ganzen ablesen, nicht anders sind dort die Verhaltensweisen und der Umgang miteinander. Denken wir an die Politik, wo Fronten verhärtet sind und man sich manchmal nicht mal mehr zuhört. Kriege, große Ungerechtigkeiten und die Missachtung von gottgegebenen Menschenrechten sind die Folge. Unsere Gesellschaft läuft zudem Gefahr, sich in eine digitale Welt zu verlieren, an deren Ende Vereinsamung und große Anonymität stehen – um nur eine Schieflage zu nennen. Und auch vor der Kirche, die ja eigentlich allein aus der Botschaft Christi leben sollte, finden wir dieses Denken und das Drehen um sich selbst. Machterhalt, Angst vor Veränderung und Vorbehalte gegen Andersdenkende führen zu Stillstand und Resignation. Was würde Jesus dazu sagen? Vielleicht nur eines: Werdet wie die Kinder!
Ja, ich weiß, einfacher gesagt als getan. Wie immer im Leben. Aber wenn man eben gar nicht damit anfängt, wenn man sich gar keine Gedanken darüber macht, wie man es anstellen könnte, dass sich etwas ändert, dann wird es eben auch nichts. Also trauen wir uns doch einfach mal: Wie wäre sie denn, die Kirche, die wie ein Kind lebt, handelt, liebt …
Pfingstlich werden
Zugegeben, diese Frage ist natürlich irgendwie utopisch. Diese Kirche kann nicht sein wie ein Kind, so unbefangen und unvoreingenommen. Es ist nicht möglich, weil die Kirche eine lange Geschichte schreibt, die sie geprägt, geformt und zudem gemacht hat, was sie heute ist. Man kann nicht erwarten, dass es plötzlich wird wie auf einem Kindergeburtstag … oder?
Aber warum denn eigentlich nicht? Denken wir doch mal an die Geburtsstunde, den Geburtstag der Kirche. Denken wir an das Fest, das wir gerade feiern, nämlich Pfingsten. Die Apostel saßen zusammen und plötzlich kamen Feuerzungen auf sie herab. Es war der Heilige Geist, der ab diesem Moment in ihnen brannte. Der alle Grenzen niederriss und alle Vorbehalte abbaute. Der dafür sorgte, dass sie sich sogar auf verschiedenen Sprachen verstehen konnten, um sich die Liebe Gottes zuzusprechen, die in ihnen brannte. Und dann gingen sie hinaus und verkündeten diese Botschaft der ganzen Welt.
Wenn unsere Kirchen, wenn unser Glaube an Jesus, diese Zeit überdauern soll, dann brauchen wir mehr als einen Kindergeburtstag, dann brauchen wir das Feuer der Geburtsstunde der Kirche zurück. Ein Feuer, das Strahlkraft besitzt und die Welt verändert, damit der Geist Mauern einreißt, Frieden schafft, Vorurteile abbaut, damit wir alle auf diesem Erdenrund bedingungslos Schwestern und Brüder - eben Kinder Gottes sind.
Werdet endlich wie die Kinder, werdet so, wie Jesus es vorgibt und uns sagt - nur so hat unsere Kirche eine Zukunft.