Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Wie ich gut Abschied nehmen kann
GettyImages/NicolasMcComber

Wie ich gut Abschied nehmen kann

Pia Baumann
Ein Beitrag von Pia Baumann, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
Beitrag anhören:

Ich bin nicht so richtig gut im Abschiednehmen. Das weiß ich. Damit meine ich nicht die kleinen, alltäglichen Abschiede. Morgens auf dem Weg zur Arbeit noch schnell einen Kuss auf die Wange. Bis nachher! Zum Ende der Familienfeier, alle noch mal feste drücken. Kommt gut heim! Oder sich unter Kollegen in den Urlaub verabschieden. Habt eine schöne Zeit! All das krieg ich hin. Weil ich weiß, wir sehen uns ja wieder. Bald schon. Schwerer fallen mir die großen Abschiede.

Schwerer fallen die großen Abschiede

Letztens zum Beispiel ist eine Freundin zurück nach Australien gegangen. Bevor es losging, haben wir uns nochmal getroffen. Wir haben gegessen, gequatscht und viel gelacht. Am Ende des Abends wurde es dann ernst. Wir mussten Lebewohl sagen. Ich weiß noch: Es war für mich gar nicht so einfach, die richtigen Worte zu finden. Ich hätte gerne noch mehr Zeit mir ihr gehabt. Nicht nur an diesem Abend. Wir hatten schließlich Pläne. Zum Beispiel sollten unsere Kinder zusammen in den Konfirmationsunterricht gehen. Ich hatte es mir so schön ausgemalt. Wir beide beim Elternabend und im Gottesdienst. Stolze Mamas mit ein paar Tränen und dem Taschentuch in der Hand.

Geholfen hat: Wir können in Kontakt bleiben und uns besuchen

Ach, am liebsten hätte ich meine Freundin festgehalten und die Zeit angehalten. Aber ich musste sie gehen lassen. Geholfen hat mir: Wir können in Kontakt bleiben. WhatsApp funktioniert auch zwischen Frankfurt und Melbourne. Und sie hat gesagt: „Komm mich besuchen. Australien ist doch nicht aus der Welt.“ Abschied nehmen ist manchmal schwer. Und tut weh. Vor allem, wenn mir schmerzlich bewusst wird, was alles noch hätte sein können. Ich versteh schon, wenn man dem lieber ausweichen will. Trotzdem: Wortlos gehen? Den Abschied überspringen? Das ist für mich keine Option. Abschiednehmen gehört im Leben dazu. Im Großen wie im Kleinen. Ist wichtig und wertvoll. Eine Gelegenheit zu sagen, wofür im Alltag manchmal keine Zeit oder kein Ort ist. Gute Worte helfen beim Abschiednehmen. Sie haben besondere Kraft. Sie bleiben im Ohr. Um solche Worte geht es heute auch am Karfreitag.

Abschiednehmen gehört im Leben dazu

Heute ist Karfreitag. Für mich als Christin ein wichtiger Feiertag. Auch wenn es ein stiller und nachdenklicher Tag ist. Heute haben Themen Platz, die ich in meinem Alltag lieber ausblende. Die aber zum Leben dazugehören. Themen wie: Sterben, Tod, Trauer - und eben auch Abschied. Nachher gehe ich in den Gottesdienst. Ich weiß, was mich dort erwartet: Der Gottesdienst erinnert an den Tag, an dem Jesus starb. Ich werde Geschichten hören und Lieder singen, die erzählen, was damals passiert ist.

Ein Tag vor seinem Sterben nimmt Jesus Abschied von seinen Freunden

Als Jesus stirbt, ist er nicht mehr jung. Aber auch noch nicht sehr alt. Ein erwachsener Mann, so um die dreißig. Heute würde man sagen: Das ganze Leben liegt noch vor ihm. Er muss geahnt haben, dass er in Gefahr ist. Denn am Abend vor seinem Tod ruft er alle zusammen. Seine Freunde, Petrus, Johannes, Maria Magdalena und all die anderen. Er will Abschied nehmen. Sie werden ohne ihn weiterleben müssen. Ohne ihn auf Feste gehen. Runde Geburtstage feiern. Singen, tanzen. Auf den See fahren und Fische fangen. Am Ufer grillen. Durch die Dörfer und Städte wandern. Denen helfen, die Hilfe brauchen. Unter freiem Himmel sitzen. Von der Zukunft träumen und sich von Gott und der Welt erzählen.

Vielleicht haben sie in alten Zeiten geschwelgt

Jesus bereitet sie vor, auf das, was kommen wird. So gut er kann. Es wird ein langer Abend. Sie essen und trinken. Ich stelle mir vor, wie sie trotz aller Traurigkeit auch in Erinnerungen schwelgen. Und sogar lachen. Vielleicht sagte Petrus: „Wisst ihr noch, als wir nachts über den See fuhren. Und Jesus kam uns entgegen. Mitten auf dem Wasser. Ich hatte so eine Angst. Ich dachte, er sei ein Gespenst. Aber dann habe ich ihn erkannt. Jesus. Wer sonst. Da wusste ich, er ist wirklich Gottes Sohn.“ Ein anderer sagt: „Und damals als wir auf dem Berg waren, wisst ihr noch? Als die ganzen Leute kamen? Es waren Tausende. Wir hatten nur zwei Fische und fünf Brote. Ich war mir sicher, das reicht doch niemals. Und am Ende war Essen genug für alle da. Es war wie ein Wunder.“

Jesus ermutigt seine Freunde

Doch dann wird es ernst. Jesus ergreift das Wort: Er sagt: „Es ist soweit. Ich weiß es. Ich werde sterben und euch verlassen. Dahin wo ich gehe, könnt ihr nicht mitkommen. Ich weiß, das macht Angst. Aber ihr müsst euch nicht fürchten. Ihr seid traurig. Aber ihr werdet euch wieder freuen. Ihr sorgt euch, wie es werden soll ohne mich. Aber das müsst ihr nicht. Auch wenn ich tot bin, ich lasse euch nicht allein. Ich bleibe da. In euren Erinnerungen. In jedem Brot, das ihr miteinander teilt. In jeder Geschichte, die ihr euch und anderen über mich erzählt.

Er gibt ihnen Tipps für ihr Leben

Denkt an alles, was ich euch beigebracht habe. Glaubt an mich. Seid voller Hoffnung. Liebt einander. So wie ich euch liebe. Das ist es, was ich euch und allen, die an mich glauben, mitgebe. Haltet daran fest. Bis zu dem Tag, an dem wir uns wiedersehen.“ Am nächsten Tag ist Jesus tot. Aber seine Worte sind noch da. Bis heute. Der Evangelist Johannes hat sie gesammelt und aufgeschrieben. Damit sie weitergegeben werden von Generation zu Generation. Mir helfen Jesu Worte. Ich kann besser mit den Abschieden meines Lebens umgehen. Und ich weiß, sie helfen nicht nur mir. Was sie Claudia bedeuten, einer Frau, die ich besucht habe, erzähle ich gleich.

Claudia hat Krebs: Vor dem Tod selbst hat sie keine Angst, aber sie macht sich Sorgen um ihre Kinder

Es ist gut, wenn Menschen Worte haben, die helfen, wenn sie Abschied nehmen. So wie Claudia. Sie hat solche Worte gefunden. Claudia ist Anfang vierzig. Sie ist sehr krank. Sie hat Krebs. Ich besuche sie auf der Palliativstation. Und wir reden. Über ihr Leben. Und über den Tod. Claudia sagt: „Es macht keinen Sinn, nach dem Warum zu fragen. Oder sich zu grämen. Es ist, wie es ist. Der Tod kommt für uns alle. Für mich eben früher als für andere. Ich habe durch meine Krankheit viel gelernt. Über das, was mir wirklich wichtig ist in meinem Leben. Ich blicke zurück und weiß: Das Leben ist schön. Trotz allem.“ Und das möchte Claudia weitergeben.

Ihr hilft es, Nachrichten für ihre Kinder zu verfassen

Vor dem Tod selbst hat sie keine Angst. Aber sie macht sich Sorgen um ihre Kinder. Die müssen ohne sie groß werden. Deshalb schreibt sie Briefe. Für jeden Geburtstag einen Brief. Bis die Kinder volljährig sind. Außerdem nimmt Claudia Sprachnachrichten auf. Erzählt darin von ihrer eigenen Kindheit auf dem Dorf. Aus ihrer Schulzeit, dem Studium an der Uni. Wie sie sich verliebt hat und wie es war, mit ihren Kindern schwanger zu sein. Sie erzählt von ihrem Glauben, ihren Träumen und Hoffnungen. Die Briefe und Sprachnachrichten helfen ihr, mit der Krankheit umzugehen. Und beim Abschiednehmen. Sie werden auch ihren Kindern helfen. Da ist sie sich sicher.

Glaubt an mich, liebt einander und habt keine Angst: Wir werden uns wiedersehen

Wenn ich gleich im Gottesdienst zu Karfreitag sitze, werde ich an Claudia denken. Und an meine Freundin in Australien, die jetzt so weit entfernt von mir ist. Und ich denke natürlich an Jesus und seine Worte, die bis heute Menschen helfen. Ich denke daran, wie sie sich verabschiedet haben. Ihre Worte habe ich im Ohr. Meine Freundin hat zu mir gesagt: „Australien ist doch nicht aus der Welt.“ Claudia sagt mir mit dem Tod vor Augen: „Das Leben ist schön. Trotz allem.“ Ich denke an Jesus und das, was er mit seinen Abschiedsworten mir und so vielen hinterlassen hat. Er sagt: „Glaubt an mich. Liebt einander. Habt keine Angst. Wir werden uns wiedersehen.“ Diese Worte sind größer als jeder Abschied. Sie umfassen Tod und Leben. Sie machen mir Hoffnung: Die Liebe und das Leben werden bleiben. Abschiede wird es in meinem Leben noch viele geben.

Abschiede wird es in meinem Leben noch viele geben

Ob ich will oder nicht. Von Menschen, die mir lieb und teuer sind. Demnächst wird eine Kollegin die Stelle wechseln. Ich weiß jetzt schon, sie wird mir fehlen. Wie es wird, wenn meine Kinder aus dem Haus gehen. Daran mag ich noch gar nicht denken. Ich hoffe, dass ich dann auch gute Worte finde. Worte, die Mut machen. Die auch trösten. Die den Blick nach vorne richten. Und Hoffnung geben. Die Liebe und das Leben werden bleiben.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren