Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Zweimal Sankt Martin!
Bild: planet_fox_pixabay

Zweimal Sankt Martin!

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, Katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
Beitrag anhören:

Guten Morgen und einen schönen Sonntag!

Ach ja, Novembertage… Jetzt ist es nach der Zeitumstellung morgens einen Moment früher hell, aber abends schon sehr früh dunkel. Diese herbstliche Dunkelheit bietet allerdings gerade den Rahmen für ein stimmungsvolles Lichterfest. Am Abend des 10. November sind mit dem Einbruch der Dunkelheit die Laternenumzüge zu Ehren von St. Martin unterwegs!

Äußerlich und innerlich leuchten

Früher mit einer dünnen Christbaumkerze erleuchtet und von der Sorge begleitet, die neu gebastelte Laterne nicht durch eine ungeschickte Bewegung abzufackeln… („Brenne aus, mein Licht, brenne aus mein Licht, aber nur meine liebe Laterne nicht…!“). Heute brandsicher mit LED-Birnchen und Batterie…

So sind sie unterwegs: „Ich geh, mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir…“. Seit ein paar Wochen schon wurden die Laternen im Kindergarten mit Martinsmotiven gebastelt und die Lieder eingeübt… „St. Martin ritt durch Schnee und Wind, sein Ross, das trug ihn fort geschwind.“ Wenn man Glück hat, reitet auch heute noch ein als römischer Soldat verkleideter „St. Martin“ vor dem Laternenzug einher. Und mit diesem Martin begegnet der Laternenzug schließlich dem „frierenden Bettler“ („Oh, helft mir doch in meiner Not, sonst ist der bitt‘re Frost mein Tod“), für den der heilige Martin seinen Mantel teilt, um ihm eine Hälfte zu schenken. Schließlich kommt der Laternenzug an einen Platz, wo ein Feuer brennt und hilfreiche Hände den Kinder Martinsbrezeln verteilen und die Eltern mit Glühwein erfreuen.

Sankt Martin - Novemberereignis froh-strahlender Kinderaugen oder mit sanft-melancholischer Erinnerung an früher: Der Heilige, der uns zu teilen und „innerlich zu leuchten“ lehrt.

Sankt Martin für Erwachsene?

Ob dieser Heilige Martin – über seine KindergartenRolle hinaus – uns Erwachsenen von heute etwas zu sagen hat? Ich finde schon. Und zwar mit mehreren aktuellen und besonderen St.-Martin-Aspekten, die sein Leben für uns bereithält…

Musik

Martin wird um das Jahr 316 im heutigen Ungarn geboren. Sein Vater ist hier als römischer Soldat stationiert. Er wächst dann im italienischen Pavia auf, der Heimat des Vaters. Dort kommt er schon in jungen Jahren und wohl gegen den Willen der (heidnischen) Eltern erstmalig mit dem Christentum in Kontakt.

Zunächst steht aber anderes an: Mit 15 Jahren tritt er standesgemäß, aber wenig enthusiastisch in den Militärdienst ein. 334 dient er in Amiens. Hier ereignet sich die Geschichte, die ihn weltberühmt machen wird: Er teilt seinen Militärmantel erst mit dem Schwert, dann mit einem frierenden Bettler. Die machohaften Kameraden machen sich über den „sanftmütigen Martin im abgerissenen Mantel“ lustig, und er muss wohl für einige Tage in Arrest, wegen Beschädigung von Staatseigentum. Dabei hatte er zuvor, wie damals üblich, die Hälfte des Mantels selbst bezahlen müssen. Strenggenommen also hat er nur sein Eigentum verschenkt.

Erster Kriegsdienstverweigerer

Auf diesen Mantel, lateinisch „cappa“, geht unser Wort „Kapelle“ zurück, und der Titel „Kaplan“ für Geistliche, die dort arbeiten. Im Jahr 351, mit fünfunddreißig, lässt Martin sich taufen. Fünf Jahre später, 356, wird er vor Kaiser Julian zu einem der ersten Kriegsdienstverweigerer der Geschichte - aus religiösen Gründen. Schon ein besonderer St.-Martins-Aspekt – oder? „Bis heute habe ich dir gedient, Kaiser, jetzt will ich meinem Gott dienen und den Schwachen. Ich kann nicht mehr länger kämpfen und töten. Hiermit gebe ich dir mein Schwert zurück.“

In den ersten christlichen Jahrhunderten findet man tatsächlich vielfach (z. B. bei Tertullian und Laktanz) die Ansicht vertreten, dass sich der Militärdienst nicht mit dem Ethos des Christen vertrage und einem Christen jedes Blutvergießen verboten sei. Angesichts gegenwärtiger Debatten um die Aufrüstung der Bundeswehr und die militärische Unterstützung der Ukraine, die ich persönlich leider für notwendig halte, ist dieser basischristliche Pazifismus schon eine Herausforderung. Erst recht auch im Blick auf die ungebremste tödliche Gewalt im Nahen Osten, wo das Christentum einst aus dem Judentum entstanden ist…

Mitbestimmung des Kirchenvolkes

Aber auch innerkirchlich liefert die Geschichte des heiligen Martin aktuellen Zündstoff: Im Jahr 372 wird er in der französischen Stadt Tours zum Bischof gewählt. In der katholischen Kirche von heute, also bei uns, wäre jemand wie er wahrscheinlich niemals Bischof geworden! Wie kam es zu seiner Wahl? Damals wurden die kirchlichen Leitungsämter nicht wie heute allein durch Würdenträger, Priester oder andere Bischöfe, vergeben, sondern unter höchst aktiver Mitbestimmung des Volkes. Vom heiligen Martin ist bekannt, dass er ausdrücklich gegen stark ablehnende Stimmen der priesterlichen Kirchenhierarchie vom Volk durchgesetzt wurde. Er war nämlich ein besonders menschenfreundlicher und hilfsbereiter Seelsorger. Er hatte sich beim Volk bewährt, und die Menschen liebten ihn. Davon können wir in der Kirche von heute nur träumen, oder vielleicht einfach mal Glück haben, dass ein volksnaher Priester Leitungsaufgaben übertragen bekommt. Darüber mitbestimmen dürfen wir als katholisches Kirchenvolk nicht.

Auch nicht, dass z.B. Frauen priesterliche Dienste ausüben dürften. Das hat zwar wenig mit Sankt Martin zu tun, aber umso mehr mit der Frage, was das Kirchenvolk zu melden hat. Weltweit ist eine deutliche Mehrheit des Kirchenvolkes für die Weihe von Frauen, wenigstens zu Diakoninnen. Bei der jetzigen Weltsynode in Rom wurde diese Frage aber von übermächtigen PriesterMännern und reformfeindlichen Kardinälen, Papst Franziskus wohl eingeschlossen, wieder ins Abseits geschoben…

Da sehnt man sich doch fast ins kirchliche Milieu des vierten Jahrhunderts und zum heiligen Bischof Martin zurück…

Musik

Kein „Karriereplan“

Noch ein besonderer St.-Martin-Aspekt: Er wurde auch gegen seinen eigenen Widerstand zum Bischof gewählt. Was daran gut sein soll, fragen Sie vielleicht? Natürlich darf man auch in solchen Dingen niemandem Gewalt antun. Was mir aber gefällt ist, dass vor allem andere ihn für fähig und geeignet hielten, gerade aus dem „niederen Volke“ und weniger er selbst. Er hatte dafür keinen „Karriereplan“, keinen Machtanspruch, mit dem Menschen – einerlei in welchem System, aber auch in der Kirche – gerne nach Führungspositionen streben. Für die Menschen seines Bistums hat sich die Wahl Martins zum Bischof als großer Glücksfall erwiesen. Er blieb zeitlebens bescheiden und vorbildlich, auch im einfachen Lebensstil; immer liebevoll und den Menschen auf Augenhöhe zugewandt; ein fürsorglicher Helfer, ein besonnener Ratgeber und Leiter. Wenn von seiner Lebensgeschichte, die sein Biograf Sulpicius Severus noch zu Lebzeiten - natürlich mit einer gewissen Glorifizierung - aufzuzeichnen begann, nur die Hälfte wahr wäre – wunderbar!

Die armen Gänse…

Es gab in dieser ganzen St.-Martins-Geschichte nur einen einzigen Verlierer: die armen Gänse! Das ist allerdings nur eine Legende: Der heilige Martin habe sich, um der Wahl zu entgehen, in einen Gänsestall geflüchtet. Die Gänse aber, die ihn auch für den besten Bischof hielten, hätten ihn schnatternd verraten. Und diesen „Verrat“ bezahlten sie bis heute als MartinsGänse mit dem Leben. Tatsächlich geht das mit den Gänsen aber eher darauf zurück, dass am Martinstag das bäuerliche Wirtschaftsjahr endet und die Gänse als Pacht entrichtet wurden.

Sankt Martin Luther!

Auch bei den evangelischen Schwestern und Brüdern wird der heilige Martin gefeiert. Als Namenspatron des großen Reformators! Martin Luther wurde 1483 am heutigen 10. November geboren und am folgenden Tag, wie es oft üblich war, der Einfachheit halber auf den Namen des Tagesheiligen getauft, eben Bischof Martin von Tours.

In seiner Lebens- und Glaubensgeschichte entwickelt Luther aber, wie ich finde, tatsächlich eine Menge St.-Martins-Merkmale. Auch er war gegen den Missbrauch kirchlicher Macht; war sehr um Volksnähe bemüht. Und in seiner Kirche hat das Volk bis heute mehr zu sagen.

Ich wünsche ihn mir von meiner katholischen Kirche längst rehabilitiert und heiliggesprochen! Ja, für mich gibt es ihn wirklich doppelt: Zweimal Sankt Martin!

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren