"The Sound of Silence" von Simon and Garfunkel
Von der tragenden und der tragischen Stille
Der „Sound of Silence“ als Traum und Trauma menschlicher Kommunikation
(Von der CD „Sounds of silence“ 1966)
Guten Morgen!
Ich wünsche allen, gut geschlafen zu haben und einigermaßen heil zurückgekehrt zu sein, aus dem Reich der Träume. In diesem „weiten Land“ einen Sommer lang mit PopSongs auf Sinnsuche. Ganz hellwach möchte ich Sie auf eine Reise mitnehmen durch des Traumes Wunderland… Das Lied, von dem ich heute erzähle, kommt so kultig-weltbekannt wie inhaltlich doch geheimnisvoll-verschlüsselt dahergewispert… Und auch wenn seine Musik fest eingeschrieben ist in der kulturellen DNA meiner Generation, so möchte ich doch einladen, besonders fein hinzuhören… Gleich zu Beginn erzählt das Lied von einer außergewöhnlichen Freundschaft. Ich kenne diese „Freundin“ auch ganz gut. Manchmal besser, als mir lieb ist. Wir sind einander vertraut. Aber nicht immer gut aufeinander zu sprechen. Oft mag und suche ich sie, manchmal allerdings - macht sie mir Angst…
Das LiederIch drückt das so aus:
„Hallo, Dunkelheit, alte Freundin. Ich bin’s mal wieder, um mit dir zu reden. Im Schlaf hat eine Vision ganz leise ihren Samen eingepflanzt hinter meine Stirn. Jetzt sind diese Gedanken immer noch da, ganz umfangen vom Klang der Stille…“
Ein magisches Bild
„Alte Freundin, Dunkelheit“… Ein magisches Bild, das die Sänger Simon and Garfunkel da in ihrem Song und in mir entstehen lassen. Man weiß noch nicht, welcher Art diese Vision sein wird, von der sie zu singen beginnen. Ein heller Traum oder eher etwas Finsteres? Das ist oft das Ungewisse an den nächtlichen Kopfgeburten der Dunkelheit: Traum oder Trauma. Und ebenfalls von höchst geheimnisvoller Ambivalenz: dieser „Klang der Stille“. Was ist das bitte? Ich weiß es noch nicht. Und ich empfinde es gleichzeitig als so selbstverständlich wie absurd, dass die Stille einen Klang hat. Zumindest in mir bringt sie etwas zum Klingen, und meine Seele wirft sofort ein Echo zurück: Klang der Stille. Gut, dass er uns wie ein Refrain hier immer wieder begegnen wird. Vielleicht erschließt sich dann seine Bedeutung.
Ein Alptraum…
Das LiederIch, von dem die Sänger hier erzählen, hatte eine unruhige Nacht, träumt sich auf einsamem Weg über Kopfsteinpflaster, im „HeiligenSchein“ der Straßenlaternen:
„Ich schlage den Mantelkragen hoch gegen die Kälte und Feuchtigkeit, als das Aufblitzen eines Neonlichts vor mir die Nacht zerreißt und mich angreift, mich und den Klang der Stille…“.
Neon ist ein kaltes Licht. Es offenbart unserem AlpTraumWandler den Blick auf Menschenmassen, Leute über Leute, Zehntausende; er spürt im fahlen Licht ihre Kälte, die von innen kommt, wie sie lauthals und wortreich nichts sagen, und wie ihre lauschenden Ohren nichts hören, weil die Herzen taub sind:
„Lauter Leute, die Melodien erfinden und Lieder singen, in die kein Mensch einstimmen mag und sich aber auch niemand traut, den Lärm dieses Schweigens, den Klang der Stille zu brechen…“
Worum es im Song geht?
Worum es in dem Song geht? Nun, als lyrisches Kunstwerk entzieht sich sein Text zwar der glatt-rationalen 1:1-Erschließbarkeit. Und er bedient – zumindest andeutungsweise – viele der großen Paul-Simon-Themen: Einsamkeit, menschliche Entfremdung, gefühlstoter Konsumismus… Das kann man aber – wie ich finde – auf einen großen Nenner bringen:
Es geht in diesem Song um den Traum menschlich gelingender Kommunikation – und um den Alptraum ihres vielfachen Scheiterns. In beidem sind auch unsere zwei Sänger selbst größte Spezialisten…
Paul Simon, der 1963 dieses Lied, das später ihr erster Hit werden sollte, geschrieben und immer auf der Gitarre begleitet hat, und Art Garfunkel mit dieser glockenhellen OberMelodie: Ihre Stimmen harmonieren traumhaft miteinander. Gelingende Kommunikation allererster Güte. Als Gesangsduo konnten sie Weltruhm erringen, aber als Freunde und Kollegen haben Streit und Ermüdung sie immer wieder auseinandergebracht. „FunkStille“ nennt man das, wenn Streitende sich nichts mehr zu sagen haben, keinen Kontakt mehr wünschen. Solche „Funkstille“ kann sich durchaus geräuschvoll zeigen. Ist am Ende das mit dem „Sound of Silence“ gemeint?
Für gelingende Kommunikation
Ja und Nein. Simon and Garfunkel, plädieren mit diesem Song für ein Ideal, für einen „Traum“ von Kommunikation, deren alptraumhaftes Gegenteil sie immer wieder selbst miteinander erfahren. Sie setzen mit „Sound of Silence“ den zwischenmenschlichen KommunikationsDramen ein bleibend aktuelles Denkmal. Und dabei hatten sie damals noch keine Ahnung, wie sehr z.B. digitalisierte Massenmedien mit ihrer HassSprache und ihren FakeNews solche menschliche Entfremdung noch steigern würden: die Vereinsamung in der Menge, die innere Leere so vieler Worte, die Schwierigkeiten, einander zu verstehen und wirklich nahezukommen.
Was ist der „Klang der Stille“?
Wirklich genial ist ihre BegriffsSchöpfung dafür: Sound of Silence, Klang der Stille… In beide Richtungen für unsere Deutung offen: Lärmend, wortreiches Schweigen, Getöse tosender Stille, weil so vieles in unserer Kommunikation nichtssagend und seelenlos bleibt. Aber auch umgekehrt: wir sind oft so wenig fähig, bewusst in die äußere und innere Stille zu gehen, Ruhe zu finden und daraus Kraft zu schöpfen für Berührung, Begegnung und echtes Verstehen. In die „Stille der Dunkelheit“, die als ambivalente TraumFreundin eben sehr Finsteres hervorbringen kann, aber auch das Licht. Tragende oder tragische Stille.
„Damit die Botschaft euch erreichen kann…“
Das LiederIch aus unserem Song meldet sich dazu mit einer mich immer wieder bewegenden Botschaft zu Wort. Die Leidenschaft und Emphase, mit der es sein Anliegen verkündet, wurde den Sängern zuweilen negativ angekreidet und das Lied wegen zwei bisschen besserwisserisch klingender Halbsätze auf die Liste der weltschlechtesten Popsongs gesetzt:
„Ihr Dummköpfe, hört meine Worte, dass ich euch lehren könnte…“. Klar, ein Hauch von Überheblichkeit, aber auch ein sich zurücknehmender Konjunktiv und inhaltlich ja durchaus die Wahrheit: „Eure Art von lärmender Stille wächst wie ein Krebsgeschwür! Kommt, ergreift meine Hände, lasst euch in die Arme nehmen, damit meine Botschaft euch erreichen kann…“. Aber die Botschaft kommt nicht an: „Sie verhallt wie lautlose Regentropfen in den Zisternen der Stille.“
Die Botschaft kommt nicht an…
Die dramatische Seite menschlicher Verständigung behält allzu oft die Oberhand…
„Die Massen verneigen sich ungerührt und beten weiter das goldene Kalb ihres selbstgemachten NeonGottes an.“ Sie verbleiben in ihrer eher seelenlosen Art von Kommunikation, übersetze ich das für mich. „Und das LeuchtZeichen blitzt grell auf: Seht als Menetekel an den Wänden der U-Bahnen und Mietskasernen die warnenden Worte der Propheten und hört sie flüstern in den vielfachen Klängen der Stille!“ So endet der Song.
Tragende oder tragische Stille?
Ist das nun tragende oder tragische Stille? Die Worte von Simon and Garfunkels „Sound of Silence“ allein und ihre pure sprachliche Logik, sie halten diese Frage nach glückender oder misslingender Kommunikation in ambivalenter Schwebe. Wie unsere Worte ja so oft mehrdeutig bleiben und widersprüchlich. Zu echtem Verstehen führen sie erst, wenn im Kommunikationsprozess zu den Worten die Botschaft der Augen hinzutritt, die Mimik des Gesichts, die Körpersprache und vor allem: der Klang der Stimme.
Und so liegt die Botschaft unseres Songs für mich tatsächlich weniger auf der Linie der Traum-Alptraum-Worte des Textes, sondern vielmehr in der Musik, ja in der traumhaften Harmonie der Stimmen unserer Sänger. Man möchte es fast „Klang der Wahrheit“ nennen, was sie auszeichnet, weil hier noch viel mehr „zu stimmen“ scheint als nur die Stimmen…
Die Kraft der Musik
In Worte gesetzt, wirkt diese Weisheit lapidar: „Der Ton macht die Musik“. Die menschliche Verständigung braucht die Strahlkraft und das Timbre von Herz und Seele, nicht Hass und Kälte.
Wenn wir seit nun genau 60 Jahren diesem leise-schwebend gesungenen, diesem wispernd-flüsternden „Sound of Silence“ lauschen… Und wenn ich mich kein bisschen wundere, dass ich mich an diesem Song offenbar niemals satthören werde… Dann kommt seine Botschaft, wann und wie Kommunikation gelingen und - jenseits allen Streits - zu menschlicher Harmonie werden kann, tief in meiner Seele an. Und dann trägt er mich ganz wunderbar und lässt alle meine Tragik verklingen, der „Sound of Silence“. Und für einen kurzen Moment „stimmt mein ganzes Leben“. Was für ein traumhafter Song!
SongText:
THE SOUND OF SILENCE
Hello darkness, my old friend
I′ve come to talk with you again
Because a vision softly creeping
Left its seeds while I was sleeping
And the vision that was planted in my brain
Still remains
Within the sound of silence
In restless dreams, I walked alone
Narrow streets of cobblestone
'Neath the halo of a streetlamp
I turned my collar to the cold and damp
When my eyes were stabbed by the flash of a neon light
That split the night
And touched the sound of silence
And in the naked light, I saw
Ten thousand people, maybe more
People talking without speaking
People hearing without listening
People writing songs that voices never shared
No one dared
Disturb the sound of silence
"Fools", said I, "You do not know
Silence like a cancer grows
Hear my words that I might teach you
Take my arms that I might reach you"
But my words like silent raindrops fell
And echoed in the wells of silence
And the people bowed and prayed
To the neon god they made
And the sign flashed out its warning
In the words that it was forming
And the sign said, "The words of the prophets are written on the subway walls
In tenement halls"
And whispered in the sounds of silence
Übersetzung:
(Vorweg: Pop. Poesie. Philosophie. Popsongs wie dieser sind Kunstwerke. Und wie alle Kunst mehrfach mehrdimensional. Man kann sich ihnen zwar mit Mitteln rationaler Erkenntnis, mit Musiktheorie und Sprachanalyse annähern… Aber um sie einigermaßen zu verstehen – letztlich immer mehr subjektiv als objektiv, braucht es ebenso Einfühlung, Sinnlichkeit, Symbolverständnis… Ihre Sprache ist eher lyrisch als faktisch. Sie rangiert oftmals zwischen Gefühlsausbruch, tiefer Philosophie und dem schnöden Zwang, einigermaßen passende Endreime zu finden. Manches ist eher oberflächlich daher gesagt als tiefsinnig ersonnen. Aber eben auch umgekehrt. Bei einem Song gehören zudem Musik und Klänge ebenfalls ganz substanziell zur inhaltlichen Botschaft und sind nicht nur Dekoration und Zierrat. Deshalb mehrfach mehrdimensional…
Darum ist mir wichtig, den Text des Songs als lyrisches Kunstwerk wahrzunehmen und auch als solches zu übersetzen. Das geht nicht 1:1, weil die Sprachen Englisch und Deutsch dazu zu verschieden sind. Sprachlich wirkt meine Übersetzung vielleicht „zu frei“. Sie kommt aber – wie ich finde – nur so dem poetischen Kunstwerk des Liedtextes wirklich nahe…)
Hallo, Dunkelheit, alte Freundin.
Ich bin’s mal wieder, um mit dir zu reden.
Im Schlaf hat eine Vision ganz leise ihren Samen eingepflanzt hinter meine Stirn.
Jetzt sind diese Gedanken immer noch da, ganz umfangen vom Klang der Stille.
In unruhigen Träumen lief ich einsam durch enge Straßen,
über Kopfsteinpflaster, im „HeiligenSchein“ der Straßenlaternen.
Ich schlug den Mantelkragen hoch gegen die Kälte und Feuchtigkeit,
als das Aufblitzen eines Neonlichts vor mir die Nacht zerreißt
und mich angreift, mich und den Klang der Stille…“.
Im fahlen Licht sah ich Leute über Leute, Zehntausende,
spüre ihre Kälte, die von innen kommt,
wie sie lauthals und wortreich nichts sagen,
und wie ihre lauschenden Ohren nichts hören.
Lauter Leute, die Melodien erfinden und Lieder singen,
in die kein Mensch einstimmen mag und sich aber auch niemand traut,
den Lärm dieses Schweigens, den Klang der Stille zu brechen…“
„Ihr Dummköpfe, hört meine Worte, dass ich euch lehren könnte.
Eure Art von lärmender Stille wächst wie ein Krebsgeschwür!
Kommt, ergreift meine Hände, lasst euch in die Arme nehmen,
damit meine Botschaft euch erreichen kann…“.
Aber die Botschaft verhallt wie lautlose Regentropfen in den Zisternen der Stille.“
Die Massen verneigen sich ungerührt und beten weiter
das goldene Kalb ihres selbstgemachten NeonGottes an.
Und das LeuchtZeichen blitzt grell auf:
Seht als Menetekel an den Wänden der U-Bahnen und Mietskasernen
die warnenden Worte der Propheten
und hört sie flüstern in den vielfachen Klängen der Stille!“
Stefan Herok