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Lernen!
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Lernen!

Dr. Annette Wiesheu
Ein Beitrag von Dr. Annette Wiesheu, Theologische Referentin des Bischofs von Mainz
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Nach sechs Wochen Sommerferien beginnt heute in Hessen wieder die Schule. Meine Kinder grummeln schon seit einigen Tagen: Ihre Lust auf Schule, Lernen und Hausaufgaben hält sich in Grenzen. Und auch ich als Mutter seufze ein wenig: Mit dem neuen Schuljahr beginnt wieder das Sich-Kümmern um Schulsachen, um Hausaugaben, Elternabende stehen an. 

Das jüngste gerade eineinhalb Jahre alt

Ich muss am ersten Schultag aber auch immer an meine Großmutter denken. Meine Oma war nicht einmal zwölf Jahre alt, als sie von der Schule abging. Nicht, weil sie keine Lust mehr hatte aufs Lernen, und auch nicht, weil ihre Noten zu schlecht waren. Ihr Vater, mein Urgroßvater, war überraschend gestorben und hat seine Frau mit sechs Kindern zurückgelassen, das jüngste gerade eineinhalb Jahre alt. Für die älteren Kinder war es vorbei mit Schule und Lernen. Sie mussten zusehen, dass sie Arbeit fanden, und zum Lebensunterhalt der Familie beitragen.

Bis ins hohe Alter 

Für meine Oma gab es deswegen keine Schultage mehr, sondern Arbeitstage. Ihre erste Beschäftigung war: Laufmädchen in einem Gasthaus im nächstgelegenen größeren Ort, sieben Kilometer von zu Hause entfernt. Sie hat dort auch gewohnt und nur der Sonntagnachmittag war frei für den Besuch bei der Mutter und den Geschwistern. 

Schule und Lernen – für meine Großmutter blieb das zeitlebens wichtig. Sie hat dafür gesorgt, dass ihre eigenen Kinder eine gute Schulbildung bekommen. Bis ins hohe Alter hat sie sich auch bei uns Enkelkindern nach den Fortschritten in der Schule erkundigt. Und ich erinnere mich: Sie hat oft die Schulfunksendungen im Radio gehört, und eine ihrer liebsten Fernsendungen war das „Telekolleg“, vorzugsweise „Pauk mit: Latein“. 

Er bleibt ihnen vorenthalten

Zum Glück haben sich die Zeiten geändert, zumindest bei uns. Aber für viele Kinder weltweit ist die Erfahrung meiner Oma nach wie vor Realität. Das katholische Kinderhilfswerk „Die Sternsinger“ schätzt: 264 Millionen Kinder können weltweit nicht zur Schule gehen. Weil ihre Schule im Krieg zerstört wurde, weil sie auf der Flucht sind oder weil ihre Eltern es sich nicht leisten können und die Kinder zum Broterwerb beitragen müssen. Schulbildung könnte der Schlüssel zu einem besseren Leben sein; er bleibt ihnen vorenthalten. Und auch bei uns ist es immer noch so, dass Kinder aus privilegierten Elternhäusern bessere Chancen auf eine gute Schulbildung haben.

Ich weiß: Schule macht bestimmt nicht immer Spaß, in unserem Schulsystem gibt es einiges zu verbessern, Schulalltag und Leistungsdruck setzen vielen Kindern und Jugendlichen zu.

Eine Chance und kein Privileg

Aber heute am ersten Schultag will ich auch daran erinnern: Zur Schule gehen zu können – das ist vor allem eine Chance. Eine Chance, die eigenen Fähigkeiten zu entfalten, und die Chance, eine Ausrüstung zu bekommen, um in dieser Welt zurechtzukommen und einmal selbstbestimmt leben zu können. Eine Chance, die überall auf der Welt selbstverständlich sein sollte – und kein Privileg.

Und auch daran will ich erinnern: Neues zu lernen, den eigenen Horizont zu erweitern und das eigene Können zu entdecken – das kann einfach sehr viel Freude machen.

Meine Oma hat das gewusst.

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