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Was hast Du schon auf die Beine gestellt?
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Was hast Du schon auf die Beine gestellt?

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Ein Cartoon, eine Zeichnung, berührt mich. Ich schneide sie aus und hänge sie auf. Gezeichnet ist ein kleiner Hase oder ein Kaninchen. Die Backen gerötet. Das eine Ohr hängt schlapp runter. Seine Füßchen sind kaum erkennbar. Als ob er wacklig auf ihnen steht. Das Häschen guckt etwas beschämt. Zugleich trotzig. Oben steht: „Was hast du denn in deinem Leben schon groß auf die Beine gestellt?“ Die Frage ist ein Vorwurf: „Du hast noch nicht genug geleistet in deinem Leben. Mach endlich etwas, worauf „man“ stolz sein kann. Was hast du denn bisher schon groß auf die Beine gestellt?“ Die Antwort des Häschens: „Mich. Immer wieder.“

Sich immer wieder neu finden, sortieren und berappeln

Ich finde die Antwort richtig gut. Menschen halten so viel aus, müssen sich immer wieder neu finden und sortieren, sich berappeln nach Krisen und Rückschlägen. Wenn ich nach einem anstrengenden langen Tag am nächsten Tag morgens wieder früh aus den Federn muss. Oder ich denke an die Witwe nach dem frühen Tod ihres Mannes. Oder an die Familie, die vor zwei Wochen umgezogen ist und die sich neu zurechtfinden muss, mitten in den Umzugskisten um sich herum.

Alle diese Menschen, und ich auch, wir stellen uns auf die Beine. Immer wieder neu. Oft mach ich mir das nicht bewusst, wie wunderbar das ist. Wenn ich das selbst nicht sehe und spüre, dann sieht das hoffentlich Gott. Ein Bibelwort sagt das und gibt mir Kraft. Es steht im Alten Testament und heißt: Du bist ein Gott, der mich sieht. (1. Mose 16,13).

Gott schaut hinter die Kulissen

Das heißt: Gott sieht auch das, was jemand hinter den Kulissen leistet. Dass er sich immer wieder neu auf die Beine stellt. Besonders für die, die sich gerade vom Leben überfordert fühlen, ist es eine Lebensleistung, einfach nur jeden Morgen aufzustehen. Und da kenne ich viele in meinem näheren Umfeld.

Wenn kleine Sorgen zum Riesenberg werden

Meine Freundin zum Beispiel: Sie hat über zehn Jahre bis zur Erschöpfung gearbeitet und war gleichzeitig für die Familie da. Für sie ist jetzt jede kleine Sorge ein Riesenberg. Nachts wacht sie auf und wälzt Probleme. Denkt über vertane Chancen nach, über die zerbrochene Beziehung zu ihrem Mann, über die Schwierigkeiten der Kinder. Sie fühlt sich so, als ob jederzeit ein kleiner Windstoß sie umpusten könnte. Und ich denke an den Freund mit einer depressiven Erkrankung. Für ihn ist Aufstehen und Duschen jeden Morgen eine Überwindung. Wenn sein Taschentuch auf dem Boden liegt, fällt es ihm schwer, es aufzuheben. Oft quält er sich durch den Tag.

Sich immer wieder aufrichten- eine Lebensleistung

Von außen gesehen könnte man die beiden „untüchtig“ oder „nicht leistungsfähig“ nennen: Dabei leisten sie doch jeden Tag unglaublich viel. Die beiden richten sich auf, immer wieder. Ich empfinde Hochachtung für sie.

Ich stelle mir vor: Es gibt nur einen, der wirklich alles sieht, was ich und andere auf die Beine stellen: Gott. Gott sieht auch die versteckten Leistungen, jede einzelne Sorge, jeden einzelnen Kummer. Mir tut gut, zu wissen: Da ist Gott. Der sieht mich ganz und gar. Er wird keine dumme Frage zu meiner Lebensleistung stellen.

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