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Hiob in Ahrweiler
Pixabay/Hans Braxmeier

Hiob in Ahrweiler

Heidrun Dörken
Ein Beitrag von Heidrun Dörken, Evangelische Pfarrerin, Senderbeauftragte für den Hessischen Rundfunk
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Hiob heißt der Mann, von dem die Bibel sagt: Er war ein guter und gläubiger Mensch, der alles verloren hatte. In Naturkatastrophen und durch Gewalt. Seine Kinder, seine Gesundheit, sein Dach über dem Kopf. Alles, was er hatte, war weg.

Keine Worte mehr finden für ein Gebet

Darüber war Hiob lange verstummt. Gegenüber seinen Freunden, die ihm helfen wollten. Aber auch gegenüber Gott.

Bei der Flutkatastrophe in Deutschland letztes Jahr sagte der Pfarrer von Bad Neuenahr-Ahrweiler: Ich finde keine Worte für ein Gebet. Was ich sonst gebetet habe, passt nicht.1 Dafür haben manche ihn kritisiert, zum Beispiel so: Beten kann man immer, besonders in der Not. Gerade ein Pfarrer sollte das können.

Angesichte der Katastrophe gab es weder Zeit noch Kraft für Gebete

Ich widerspreche: Nein, beten kann man nicht immer. Jedenfalls nicht so wie gewohnt.

Dieser Pfarrer half von morgens bis nachts hunderten Menschen. Sie standen vor ihm nur mit einer Tüte in der Hand oder ganz leeren Händen. Viele suchten verzweifelt nach vermissten Eltern, Partnern oder Kindern. Der Pfarrer sagte: Da gab es für Gottesdienst und Gebet weder Zeit noch Kraft noch Worte.

Hiob rechnet mit Gott ab

Hiob war der Mann der Bibel, dem alles genommen wurde. Hiob hat irgendwann wieder Worte gefunden. Aber keine schönen. Er schleuderte Gott seinen Zorn entgegen über die Ungerechtigkeit. Hiob rechnet mit Gott ab. Im Namen aller, die ungerecht in Not geraten. Er wirft Gott vor, dass er großes Leid nicht verhindert. Auch nicht bei anständigen und gläubigen Menschen. Hiob wütet und klagt gegen Gott.

Besonders vernünftig scheint das nicht. Wer kämpft gern gegen einen übermächtigen Feind: gegen Gott, gegen die Folgen von Krieg, gegen eine tödliche Krankheit. Die Vernunft sagt: Lass es, es ändert ja doch nichts.  

Durch seinen Zorn resignierte Hiob nicht

Aber durch seinen Zorn gegen Gott bleibt Hiob etwas erspart: Resignieren, sich in sein Schicksal stumm ergeben. Wer resigniert, kann mutlos und einsam werden. Damit ein Mensch nicht allein bleibt in der Not, braucht es schonungsloses Aussprechen. Protest ist notwendig.

"Ich weiß, dass mein Erlöser lebt"

Von Hiob erzählt die Bibel weiter: Nach seinem Zorn hat er Gott anders erfahren. Vielleicht, weil er Gott alles sagen konnte. Er konnte sich Gott zeigen, wie er war, wütend und traurig. In den bittersten Tagen muss Hiob Gott erfahren haben als seinen Fürsprecher. Hiob soll schließlich gesagt haben: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ (Hiob 19, 25 ff)

Für den Pfarrer von Ahrweiler waren die vielen Helfer wie ein Gebet ohne Worte

Der Pfarrer von Ahrweiler hat lange nach der Flutkatastrophe gesagt, wie es für ihn mit dem Beten weiterging: „Dass es Gott gibt, daran hatte ich keine Zweifel. Doch wie ich mit ihm in Verbindung treten kann, das war weg - wie unsere Häuser und unsere Straßen.“ 2
Er hat gesagt, für ihn waren die vielen Helfer wie ein Gebet ohne Worte. Menschen, die spenden, die zupacken. Und er hat noch etwas gesagt: Es hat ihm gutgetan, dass andere für ihn und die Betroffenen gebetet haben. Wenn einem selbst Worte fehlen: Es gibt Menschen, die beten für mich, wenn ich es nicht kann.

 

 

 


1. https://www.domradio.de/themen/soziales/2021-07-25/der-zusammenhalt-ist-das-hellste-licht-pfarrer-aus-ahrweiler-findet-momentan-keine-worte-fuer-das

2.  Äußerungen von Pfarrer Jörg Meyrer im Video-Podcast seiner Pfarrgemeinde am 15.8.2021 https://www.laurentius-aw.de/

 

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