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Das weite Feld der Liebe

Das weite Feld der Liebe

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Hochzeitspaare lieben diese Stelle aus der Bibel. Manch Pfarrer oder Pfarrerin kann sie deswegen schon fast nicht mehr hören. Denn sie wird wieder und wieder bei Hochzeiten vorgetragen. Natürlich: Es geht um die Liebe. Das „Hohelied der Liebe“ wird der Text auch genannt. Er stammt aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth. Dort heißt es poetisch und wunderschön:

Biblisches Liebeslied für Hochzeiten

„Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz und eine lärmende Pauke.
Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte, wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.“
(1 Korinther 13,1-2)

Starke Worte, und so geht es noch einige Zeilen weiter. Am Ende der Passage über die große Kraft der Liebe stehen auch diese ziemlich berühmten Worte:

„Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“
(1 Korinther 13,13)

Katholische Kirche: lieblos gepredigt und gehandelt

Heute wird diese Bibelstelle, dieses Hohelied auf die Liebe in allen katholischen Kirchen vorgetragen, sie ist eine der vorgesehenen Lesungen im Gottesdienst. Wer weiß, manch Pfarrer wird vielleicht trotzdem nicht über sie predigen. Weil er es so oft schon tun musste bei all den Hochzeiten. Aber vielleicht auch, weil er ahnt: Viele Menschen wollen zum Thema Liebe von der katholischen Kirche eigentlich gar nichts mehr hören. Sie hat so oft lieblos und diskriminierend über die Liebe geredet und ist für viele deswegen unglaubwürdig. Manche ihrer Vertreter haben schrecklich lieblos und grausam gehandelt. Gerade in den letzten Wochen gab es dazu wieder furchtbare Meldungen.

Liebe in Paarbeziehungen, Freundschaften, Naturerfahrungen

Ich traue mich trotzdem und rede heute als Kirchenfrau über die Liebe. Sie ist doch irgendwie das schönste und wichtigste Thema der Welt. Und eines, zu dem Bibel und Christentum so viel beizutragen haben. Die Liebe ist ein weites Feld: Sie ergreift Menschen mit ganz unterschiedlichen sexuellen Orientierungen. Und die Liebe ist nicht nur etwas für Paarbeziehungen. Ich kann sie auch in Freundschaften spüren. Die Liebe hat mit Gerechtigkeit und Nächstenliebe zu tun. Und ich erlebe die Liebe sogar in meiner Verbindung zu Natur und Schöpfung. Von all dem möchte ich heute in dieser hr2 Morgenfeier sprechen. Und natürlich habe ich auch Musik zur Liebe mitgebracht. Eines der schönsten geistlichen Werke zur Liebe ist für mich das Stück „Ubi caritas“ von Maurice Duruflé.

Musik 1: Maurice Duruflé: Ubi caritas et amor (CD: frankfurt a cappella, Querschnitt, Track 3, 2.17 min.)

Ubi caritas et amor, Deus ibi est. Wo die Güte und die Liebe, da ist Gott. Dieses wunderbare Stück von Maurice Duruflé stammt aus dem 20. Jahrhundert, aber es greift einen viel älteren gottesdienstlichen Gesang auf, einen Antwortgesang und einen Hymnus aus der Liturgie des Gründonnerstags. Der Tag, an dem Christinnen und Christen bekennen: Gott hat sich aus Liebe für die Menschen hingegeben. Der Text dieses „Ubi caritas“ ist überliefert in einer Handschrift aus dem Kloster Gallen aus dem 8. Jahrhundert, und er lehnt sich an den 1. Johannesbrief der Bibel an. Die zentrale Botschaft dieses Briefes aus dem Neuen Testament lautet: „Gott ist Liebe.“ Diese Liebe wird dort immer und immer wieder entfaltet. Das Wort „Liebe“ kommt in dem kurzen Brief 15 Mal vor. Es heißt da zum Beispiel: „Geliebte, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott.“ Oder: „Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollendet.“ (1 Joh 4,8.9.12)

Gehört zusammen: Gott lieben und einander Lieben

Es ist also schnell klar, was aus dem Satz „Gott ist Liebe“ für diesen 1. Johannesbrief folgt: Wir Menschen wollen und sollen Gott zurücklieben – und wir sollen vor allem auch einander lieben. Christinnen und Christen folgen ihrem Gott dort nach, wo sie es ihm gleich tun und voller Liebe mit den Menschen umgehen. Aus Liebe füreinander da sind. Der alte lateinische Hymnus, den Maurice Duruflé aufgreift, formuliert es so:

„Fürchten und lieben wollen wir den lebendigen Gott
und einander lieben aus lauterem Herzen.“
„… Et ex corde diligamus nos sincero.“

Im 1. Johannesbrief ist es aber auch ganz klar umgekehrt beschrieben: Wenn wir den anderen Menschen nicht lieben, dann lieben wir auch Gott nicht und sind nicht mit ihm verbunden. Es heißt da:

„Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott!, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner.“
(1 Joh 4,20)

Steckt genug Liebe drin?

Ich finde sie beeindruckend, diese biblischen Sätze und diese Musik voller Liebe. Sie kommen mir natürlich auch in den Sinn, wenn ich darüber nachdenke, wie konsequent ich eigentlich meinen Glauben lebe. Ob genug Liebe darin steckt. Oder auch: Wieviel Liebe in der Glaubensverkündigung und -praxis meiner katholischen Kirche steckt. Wenn sie lieblos mit Menschen umgeht, dann ist ihr Glaube eine Lüge. Denn Gott ist die Liebe.

Musik 2: Ola Gjeilo, Ubi caritas (hr-Archiv Nr. 6171776, Voces Acht, 3.48 min).

„Ubi caritas et amor“, „Wo die Güte und die Liebe, da ist Gott“. Diese alten Worte wurden von etlichen modernen Komponisten vertont, hier zum Beispiel ganz wunderbar vom norwegischen Pianisten und Komponisten Ola Gjeilo.

Die Liebe, um die es hier geht, ist nicht in erster Linie die romantische Liebe zweier Menschen, wie wir sie normalerweise schnell mit dem Stichwort Liebe verbinden. Amor und Caritas stehen hier eng beieinander: Liebe und Nächstenliebe. Auch das „Hohelied der Liebe“ aus dem 1. Korintherbrief, das so oft auf Hochzeiten gelesen wird, ist eigentlich kein besonders romantischer Text. Da heißt es zum Beispiel:

„Die Liebe freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.“
(1 Korinther 13,6)

Aus Liebe das Leben riskieren

Das klingt weniger nach großem Gefühl als nach starker Haltung. Liebe hat hier mit Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit zu tun, auch: mit Gerechtigkeit. Und das nicht nur zwischen zwei Menschen, die einander anziehend finden, sondern überhaupt zwischen Menschen. Wenn Menschen diese Liebe leben, dann riskieren sie etwas, wie auch dieser Jesus, der aus Liebe sogar in den Tod gegangen ist.

Ich muss bei diesen Zeilen zur Liebe auch an die Menschen denken, die aus christlicher Überzeugung überall auf dieser Welt für gerechtere Verhältnisse kämpfen und dabei ihr Leben riskieren. Menschen, die sich zum Beispiel in Brasilien gegen die Abholzung des Regenwalds und für die Indigenen im Amazonas-Gebiet einsetzen. Wie etwa der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler, von 1981 bis 2015 war er Bischof von Xingu im Amazonasgebiet und hat 2010 den alternativen Nobepreis bekommen. Er hat Mordanschläge überlebt, wurde bedroht, steht unter Polizeischutz. Das Wort Liebe bekommt da einen ganz anderen, besonderen Klang. Eine solche Liebe ist eine, die sich ganz konsequent für andere einsetzt und dabei manchmal sogar das eigene Leben riskiert – weil sie diesem Jesus von Nazareth und seiner Liebe nachfolgt.

Liebe und Gerechtigkeit

In der Bibel verbindet sich die Liebe immer wieder mit solch einem Einsatz gegen Unrecht und für Gerechtigkeit. Schon in den Psalmen und in den Büchern der Propheten. „Bewahre die Liebe und das Recht!“ heißt es zum Beispiel beim Propheten Hosea (Hosea 12,7) Die Liebe setzt sich ein für eine gerechtere Welt, für das so genannte „Reich Gottes“. Sie setzt sich immer und immer wieder ein für Menschen, die benachteiligt sind, die schwach sind, die leiden müssen.

Liebe im christlichen Sinn ist nie nur romantische Liebe, sondern immer auch: soziale Liebe. Nächstenliebe. „Du sollst Gott, deinen Herren, lieben von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst“, das ist ja das zentrale Gebot im Judentum wie im Christentum. Johann Sebastian Bach hat dazu eine Kantate komponiert. Hier kommt ein Rezitativ daraus.

Musik 3: Johann Sebastian Bach, Rezitativ „Gib mir dabei, mein Gott, ein Samariterherz“ aus der Kantate „Du sollt Gott, deinen Herren, lieben“ (CD: Cantatas BWV 77-79, Bach-Ensemble, Helmuth Rilling, Track 4, 1.20 min).

Überall da, wo wir Menschen in Not helfen, wo Liebe in die Tat umgesetzt wird, da ist Gott. „Ubi caritas et amor, Deus ibi est“. Ich finde diesen Satz auch deswegen so beeindruckend, weil er eine so große Weite ausdrückt. „Wo die Liebe, da ist Gott.“ Das heißt ja umgekehrt auch: Gott ist nicht etwa nur da anwesend, wo Christinnen und Christen Gottesdienst feiern oder Bibel lesen, er ist nicht nur im Raum der Kirche. Und Gott ist im Übrigen auch nicht nur da, wo Menschen in heterosexuellen Ehen leben. Gott ist einfach überall dort, wo Liebe gelebt wird, konkret und konsequent. Wo Menschen treu und zärtlich füreinander da sind. Unabhängig von ihrer sexuellen Identität. Und so sehe ich selbst auch Gott und seine Liebe: Ich sehe sie, wo ein Freund sich liebevoll um seinen Mann kümmert. Ich sehe Gottes Liebe, wo eine Freundin ihre Lebenspartnerin in den Arm nimmt.

Film "Wie Gott uns schuf"

Am Montag hab ich den Film „Wie Gott uns schuf“ in der ARD gesehen. 120 Menschen, die haupt- oder ehrenamtlich in der katholischen Kirche arbeiten, haben sich darin geoutet als schwul oder lesbisch, bi-sexuell oder trans-ident. „Out in church“, heißt die Aktion dahinter. Mich haben Film und Aktion ungeheuer beeindruckt und berührt. Da waren zum Beispiel zwei Frauen, die seit 40 Jahren ein Paar sind und die ihre Beziehung immer verheimlicht haben, weil sie Angst hatten um ihre Jobs in der katholischen Kirche. Über 120 Kilometer sind sie zu ihren Arbeitsstellen gefahren, bei Gesprächen mit den Kolleginnen übers Privatleben sind sie ausgewichen, jeden Tag, über Jahrzehnte – nur, weil die katholische Kirche nicht akzeptiert hat, dass Gott einfach da ist, wo Liebe ist. Oder da war der Priester und Jesuit, der wegen seines Schwulseins fast aus dem Orden gemobbt wurde. Mit Tränen in den Augen erzählt er davon, wie das war, als er sich nach vielen Jahren vor einer kirchlichen Versammlung outet – und die Menschen reagieren nicht abwehrend und schweigend, sondern sie applaudieren ihm. Es ist, so sagt er, „die Freude, in das Land der Freiheit gekommen zu sein.“

Die Liebe vertreibt die Angst

Ja, auch das gehört zur Liebe: die Freiheit, die Furchtlosigkeit. Und auch dieser Satz steht im 1. Johannesbrief, der so viel von der Liebe spricht: „Die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht.“ (1 Joh 4,18) Ich hoffe und bete wirklich sehr dafür, dass meine katholische Kirche immer mehr diese Freiheit und Furchtlosigkeit entdeckt. Es hat mich gefreut, dass die deutsche Bischofskonferenz die Aktion begrüßt hat. Der Bischof von Aachen Helmut Dieser hat am Montag gesagt: „Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung oder seiner geschlechtlichen Identität diskriminiert oder abgewertet oder kriminalisiert werden.“

Schon der alte kirchliche Gesang „Ubi caritas et amor“ erzählt von dieser Weite und Freiheit der Liebe. Hier kommt er noch einmal in einer modernen Vertonung aus der Gemeinschaft von Taizé.

Musik 4: Jaques Berthier / Taizé: Ubi caritas et amor (CD: Eingeladen zum Fest des Glaubens, Institut für Kirchenmusik des Bistums Mainz, CD 2, Track 17, 2.03  min).

„Wo die Liebe ist, da ist Gott.“ Die Liebe ist eine große göttliche Kraft, und sie reicht weiter, als wir auf den ersten Blick meinen. Sie lässt sich nicht begrenzen auf heterosexuelle Beziehungen. Und nicht einmal nur auf Paarbeziehungen. Ich erlebe Liebe auch in tiefen Freundschaften. Freundschaften, in denen wir zusammen Verlust und Trauer durchgestanden, Schwieriges und Schönes miteinander erlebt haben, über viele Jahre hinweg. Auch darin spüre ich Gottes Liebe.

Innige Liebes-Momente mit der Schöpfung

Und letztendlich ist Liebe auch nicht nur an Menschen gebunden. Liebe erlebe ich auch in meiner Beziehung zur Natur und zur Schöpfung. Viele werden das nachvollziehen können, die eine besondere Beziehung zu einem Tier haben, einem Hund, einer Katze oder einem Pferd. Ich erlebe immer wieder innige Momente, in denen ich mich eng verbunden fühle mit Tieren, mit Bäumen und Bergen, mit dem Sternenhimmel, mit der ganzen Schöpfung.

Das Liebeslied des heiligen Franz 

Auch das hat eine Tradition in Bibel und Christentum. Die ganze Schöpfung seufzt und sehnt sich mit uns nach Vollendung, heißt es im Römerbrief der Bibel (Römer 8,22). Der heilige Franz von Assisi hat ein Lob- und Liebeslied auf die Schöpfung komponiert. Papst Franziskus schreibt darüber: „Wie es uns geht, wenn wir uns in einen Menschen verlieben, so war die Reaktion von Franziskus jedes Mal, wenn er die Sonne, den Mond oder die kleinsten Tiere bewunderte: Er hat gesungen und die anderen Geschöpfe in sein Lob einbezogen.“ (vgl. Laudato Si 11).

Liebe und Eros für die Schöpfung: Davon erzählt auch ein Buch, das ich gerade lese, es heißt: „Lebendigkeit. Eine erotische Ökologie“. Mit Christentum hat es erst einmal gar nichts zu tun, aber für mich steht es in dieser Tradition der liebevollen Beziehung von Mensch und Schöpfung. Liebe ist mehr als ein privates, angenehmes Gefühl, das sagt auch der Autor Andreas Weber. Sie ist „das praktische Prinzip schöpferischer Lebendigkeit.“ (Lebendigkeit, S. 23)

Ein weites Feld der Liebe

Die Liebe, sie ist wirklich ein weites Feld. Sie wirkt, wenn ich mich verliebe in einen Menschen oder wenn ich Freundschaft genieße. Wenn ich mich für eine gerechte Welt einsetze oder auch, wenn ich mich als Teil der großen, lebendigen Schöpfung Gottes erlebe und Gott in dieser Schöpfung liebe.

Ich möchte schließen mit einem großen Liebeslied aus der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach – und mit zwei weiteren Liebeszeilen aus dem „Hohen Lied“ der Liebe im 1. Korintherbrief der Bibel:

„Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.
Die Liebe hört niemals auf.“
(1 Korinther 13,7-8a)

Musik 5: Johann Sebastian Bach: Arie „Aus Liebe“ aus der Matthäus-Passion (CD: J.S. Bach St. Matthew Passion, Gaechinger Cantorey, Hans-Christoph Rademann, CD 2, Track 14, 0.00 bis ca. 2.15 oder 4.00 oder ganz).

 

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