Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Erbsen zählen
Bildquelle pixabay

Erbsen zählen

Tanja Griesel
Ein Beitrag von Tanja Griesel, Evangelische Pfarrerin, Fritzlar
Beitrag anhören:

Ein Mann geht vor mir. Im Gehen zieht er ein Taschentuch aus der Hosentasche und schnäuzt sich die Nase. Dabei fällt etwas zu Boden. Ich bücke mich instinktiv. Es sind Backerbsen. „Ach, die!“, lacht der Mann, „die hatte ich schon ganz vergessen!“
„Etwas zum Knabbern für zwischendurch“, rutscht es mir raus. „Nein“, sagt er, „die habe ich mir im Gottesdienst eingesteckt.“ Vermutlich bemerkt er das große Fragezeichen hinter meiner Stirn. „Die Pfarrerin empfahl, sich immer, wenn etwas Gutes oder Schönes passiert, eine Erbse von der einen in die andere Hosentasche zu stecken“, erklärt er mir, „am Abend holt man sie hervor und staunt, wie viele Erbsen sich auf der positiven Danke-Seite angesammelt haben.“
„Und?“, frage ich neugierig, „wie viele sind es heute schon?“
„Noch keine“, antwortet er, „ich habe diese kleinen Dinger vollkommen vergessen!“

Damit das positive Erbsenzählen zur guten Gewohnheit wird, muss ich vielleicht erst mein Hirn austricksen. Denn unser Gehirn scheint den schönen Momenten weniger Aufmerksamkeit zu schenken als den schlechten. Ziehen die einen flüchtig vorbei, setzen sich die anderen in unseren Gedanken hartnäckig fest. Probleme werden immer und immer wieder durchgekaut. So geht man beim nächsten Mal besser damit um. Man meidet Fehler und Gefahren. Weil wir aus den negativen Ereignissen lernen wollen, erinnern wir uns an sie viel besser als an die positiven.
Die Erbsen hingegen lenken meine Gedanken auf die schönen Momente: Eine Erbse für den Kaffee, den ich mit einer Kollegin getrunken habe, eine für den Sonnenstrahl, der mir heute das Gesicht gewärmt hat, eine für das unerwartete Gespräch über den Gartenzaun hinweg und den Kassierer, der mir so freundlich mit meinem Einkauf geholfen hat.

Der Mann steckt sich die verlorenen Erbsen wieder in die eine Hosentasche, nur eine, die behält er zurück. „Das ist doch schon ein guter Anfang, oder?“ Er steckt die Erbse in die andere Tasche auf der Danke-Seite und geht.
Ich kann mir gut vorstellen, auch zu einer Erbsenzählerin zu werden.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren