Der Not ein Gesicht geben
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Der Not ein Gesicht geben

Dr. Anke Spory
Ein Beitrag von Dr. Anke Spory, Evangelische Pfarrerin, Bad Homburg-Gonzenheim

Am 8. Juli 1867, heute also vor 150 Jahren, ist Käthe Kollwitz geboren. Käthe Kollwitz war eine Bildhauerin und Grafikerin, die zu den bekanntesten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts zählt.

Sie ist mit einem Zyklus von Radierungen bekannt geworden, die sie „die Weber“ nannte. Den Webern ging es bereits vor der industriellen Revolution materiell immer schlechter. Die aufkommende Textilindustrie hatte ihre Arbeitsbedingungen verändert. Sie verdienten zu wenig Geld, um ihre Familien über Wasser zu halten, viele verarmten. Unruhen waren die Folge. Die Radierung von Kollwitz zeigt eine Gruppe von Männern und Frauen, die gebeugt, aber mit entschlossenem Gesicht vorwärtslaufen. Sie tragen Arbeitsgeräte mit sich, eine Frau trägt ein Kind auf dem Rücken.

Käthe Kollwitz schreibt in ihren Erinnerungen: „Diese Arbeit über die Weber hat mich zur sozialen Künstlerin abgestempelt.“ In der Tat. Käthe Kollwitz´s Werk widmet sich Menschen, die in Not geraten sind. Es sind die sogenannten Kleinen Leute, die sie interessieren. Immer wieder zeichnet sie Mütter, die schützend ihre Arme über ihre Kinder ausbreiten; sie skizziert ausgemergelte Menschen mit großen Augen, sie malt Kinder, die ihre leeren Schüsseln nach oben halten in der Hoffnung, jemand füllt etwas zu Essen hinein.

Ihr Mann arbeitet in dieser Zeit als Arzt in Berlin. Zu ihm kommen Menschen aus der untersten sozialen Schicht. Bald kommen die Menschen nicht nur zu dem Arzt, sondern auch zu seiner Frau, Käthe Kollwitz. Sie schütten ihr Herz aus, erhoffen sich Hilfe und Trost. Käthe Kollwitz begegnet Elend, Arbeitslosigkeit und Prostitution. Das Malen ist für sie eine Möglichkeit, das Leben zu ertragen.

Zu Beginn des 1. Weltkrieges fällt ihr Sohn Peter in Belgien. Dieser schmerzhafte Verlust macht Käthe Kollwitz zur entschiedenen Pazifistin. Ihre Skulptur „Mutter mit totem Sohn“ steht heute in der Neuen Berliner Wache und ist den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft gewidmet.

In der Bibel heißt es: „Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die beide macht der Herr.“ Ich weiß nicht, ob sich Käthe Kollwitz als Christin verstanden hat. Aber ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge hat sie gehabt.

Sie hat hingeschaut, hat die Augen nicht vor der Not der Menschen verschlossen. Damit hat sie der Not ein Gesicht gegeben. Die Menschen, die sie zeichnet, trösten und stärken einander, ohne viel Worte zu machen: Sie halten sich oft gegenseitig im Arm, stützen sich unmerklich. Mütter legen bergend ihre Arme über ihre Kinder. Es sind diese kleinen alltäglichen Gesten, die Kraft geben und Hoffnung vermitteln. Das macht die Stärke der Bilder und Skulpturen von Käthe Kollwitz aus. Sie erinnern mich auch daran, wie nötig jeder Mensch solche Gesten braucht, jeden Tag.

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