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Frieden und Religion

Frieden und Religion

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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„Carmel de la Paix“, „Carmel des Friedens", so heißt ein Kloster in Frankreich, in dem ich mir fast jedes Jahr im Frühling eine Woche Auszeit gönne, um mal wieder zur Ruhe zu kommen, aufzutanken vom Stress zuhause.  Auch diesmal war ich nach Ostern da. Es ist wirklich ein besonders friedlicher Ort. Und er kommt mir in diesen Tagen immer mal wieder in den Sinn, wenn es um den Frieden und um das Kriegsende geht. 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs haben wir ja vorgestern begangen, am 8. Mai.

Mich macht es froh, dass Franzosen und Deutsche nun schon seit so langer Zeit in Frieden miteinander leben. Und ich find es irgendwie auch schön, dass mein besonderer Ort des Friedens dort in Frankreich liegt. Viel von dem, was ich unter Frieden verstehe, das erlebe ich dort im Kloster. Und ich möchte heute Morgen in den „Sonntagsgedanken“ davon erzählen.

Das Erste, was mir immer wieder klar wird im „Carmel des Friedens“: Der äußere Frieden, der fängt in mir drinnen an. Das klingt vielleicht  für manchen schon fast ein bisschen banal. Aber ich spür das einfach dort im französischen Kloster immer besonders deutlich und auch noch in den Wochen danach: Wenn ich in mir drinnen gestresst und genervt bin: Dann fällt es mir schwer, zu anderen freundlich zu sein, gelassen und friedlich zu reagieren. Die innere Unruhe: Die schlägt immer wieder in äußere Unruhe um, ich antworte dann gereizt, wenn jemand schon zum zweiten Mal was von mir wissen will. Ich pampe Leute an, weil ich mich über sie ärgere. Manchmal  schreie ich sogar mein Fahrrad oder meinen Computer an, wenn die nicht so funktionieren, wie sie sollen – das ist dann meistens der Moment, in dem ich mir sage: Beate, es ist wieder Zeit für eine Auszeit.

In Frankreich dann in der Klosterauszeit, da merke ich nach ein paar Tagen, das etwas anderes passiert: Ich atme tief durch, ich werd innerlich friedlicher – und mit einmal bekommt auch die Welt um mich herum wieder einen friedlicheren Menschen  zu spüren. Die innere Balance – die hängt eben eng zusammen mit der äußeren Haltung. Deswegen stimmen für mich auch Sprüche wie: Frieden fängt bei mir selbst an, bei jedem Einzelnen! Natürlich, der Friede braucht auch gute äußere Bedingungen. Aber ich glaube: Die helfen alle nichts, wenn jemand innerlich zerrissen ist. Und umgekehrt ist es ja erstaunlich, wie ein Mensch manchmal Frieden und Gelassenheit ausstrahlen kann, obwohl um ihn herum alles tobt – er hat einfach einen großen inneren Frieden.

Für mich lohnt es sich deshalb, Zeit in meinen inneren Frieden zu investieren. Mich zu kümmern um meine innere Balance, auch um meine Beziehung zu Gott. Mit einer Woche im Kloster – oder auch nur mit ein paar Minuten Stille zuhause. Durchatmen, innerlich friedlich werden – das beeinflusst auch die Weise, wie ich auf andere zugehe.

Musik

Das Zweite, was mir in meiner Auszeit im französischen Kloster immer wieder auffällt, ist: Wie offen und gastfreundlich der Frieden ist. Die Schwestern dort empfangen Gäste aus allen Ländern und allen Konfessionen und Religionen. Auch Gäste, die sich gerade gar keiner Religion groß verbunden fühlen. Jeder darf kommen und mitleben. Keiner wird gefragt, wer er zuhause ist und was genau er glaubt. Alle bekommen ein Lächeln und werden willkommen geheißen. Es muss auch keiner wegbleiben, der nicht genug Geld hat: Jeder gibt dort so viel für seinen Aufenthalt, wie er geben kann. Diese Offenheit gegenüber allen Menschen, die find ich faszinierend.

Und ich denke, das hat dort im „Carmel des Friedens“ auch wieder sehr viel zu tun mit dem inneren Frieden: Die Ordensschwestern dort: Sie sind sich ihrer Haltung sicher, sie glauben und vertrauen ihrem Gott. Sie haben es nicht nötig, andere Menschen zu kritisieren oder klein zu machen, weil die anders glauben oder eine andere Weltanschauung haben. Ihre innere Balance – die schafft Offenheit und Gastfreundschaft. Sie schließt alle Menschen in den Frieden ein.

Das merkt man in der Weise, wie die Schwestern auf Menschen zugehen – und man merkt es auch in den Gottesdiensten, die sie feiern. Eine Kleinigkeit zum Beispiel, die mich immer wieder beeindruckt: Im Carmel des Friedens wird in den Bibellesungen aus dem so genannten Alten Testament der Gottesname nicht ausgesprochen. Das ist vor allem eine Geste gegenüber den Juden: Dort wird aus Ehrfurcht eben vom „Herrn“ gesprochen, auch in der Alten Kirche hat man das noch  so gemacht – heute wird es in den meisten katholischen Gottesdiensten anders gehandhabt. Die eigene alte Tradition ernst nehmen und Respekt gegenüber dem Judentum zeigen – das stiftet für mich Frieden.

Ganz besonders sind für mich im „Carmel de la Paix“ aber auch die Fürbitten. Auch in ihnen spür ich den offenen und friedlichen Geist, der dort weht. Da wird nicht nur für die eigenen vier Wände gebetet, nicht nur für die eigene Kirche oder das eigene Land. Sondern eben für alle Menschen, die in Not sind, und alle, die sich für andere einsetzen, ganz ausdrücklich auch immer wieder für Muslime oder für Menschen guten Willens ohne Religion. Der Friede hört eben nicht bei den Klostermauern auf – er ist unglaublich weit, er richtet sich an die ganze Menschheit.

Auch an diese Haltung muss ich zuhause immer wieder denken: an diese Freundlichkeit und Offenheit, mit der ich anderen Menschen begegnen kann. Der Geist des Friedens ist nicht eng, sondern weit. Und oft hat er Gott sei Dank auch etwas mit Gott zu tun.

Musik

Frieden und Religion: Das scheint ja heutzutage ein schwieriges Thema zu sein. Der Glaube an Gott wird immer wieder mit sehr unfriedlichen Haltungen und Handlungen verbunden. Islamistische Terroristen töten auf grausame Weise Menschen, auch christliche Milizen gibt es auf dieser Welt, die andere ermorden, eben anscheinend einfach nur, weil sie anders glauben. Ich finde das furchtbar – und bin gerade deshalb froh, wenn ich erlebe: Natürlich ist Religion auch und vor allem ganz anders: Sie führt keinen Krieg, sie stiftet Frieden. Überall auf der Welt. Zum Beispiel eben in diesem kleinen französischen Carmel-Kloster. Natürlich wird man dort nicht die Welt retten und den Weltfrieden herstellen. Aber ich glaube wirklich: Dadurch, dass dort Menschen auftanken und Frieden erleben, wird die Welt ein bisschen besser. Wird der Frieden weitergetragen an viele Ecken auf dieser Erde.

Mir fallen zum Thema Frieden und Religion auch die französischen Trappistenmönche in Algerien ein, vor knapp zwanzig Jahren wurden sie dort ermordet. Vielleicht hat mancher ja den Film über sie gesehen, „Von Menschen und Göttern“. Diese Mönche sind damals dort ganz bewusst im gefährlichen Algerien geblieben und haben der Gewalt und dem Terror ihre Offenheit und ihre Friedfertigkeit entgegengesetzt.

Auch heute versuchen Menschen in Afrika und anderswo, in der Kraft ihrer Religion Frieden zu stiften. Mich haben vor ein paar Wochen in den Nachrichten die Bilder aus Nigeria beeindruckt, in denen ein Bischof und ein Imam nebeneinander zu sehen waren: Sie haben gemeinsam Essen an Flüchtlinge ausgegeben. Und sie waren sich einig: Sie wollen anknüpfen an die lange Tradition des friedlichen Zusammenlebens von Muslimen und Christen in Nigeria. Mir sind fast die Tränen gekommen vor dem Fernseher, weil ich dachte: Ja, auch das gibt es natürlich! Vermutlich hören und sehen wir von solchen Gesten weniger als von den Attentaten religiöser Fanatiker. Aber es gibt auch sie – diese Menschen, die an Gott glauben und genau deswegen unermüdlich und oft unter großen Risiken am Frieden mit bauen.

Gott will den Frieden und nicht Krieg und Terror. Davon sind sie überzeugt. Davon bin auch ich als Christin in Europa überzeugt, gerade 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und 100 Jahre nach dem Ersten. Gott will nicht Menschen gegeneinander aufbringen, er will sie miteinander versöhnen. Er will, dass sie aufeinander zugehen, in Offenheit und Gastfreundschaft. Mit einem Lächeln und mit einem Händedruck.

Ich erlebe das immer wieder, zum Beispiel eben in diesem französischen Kloster des Friedens. Wenn ich von dort zurückkomme in meinen Alltag, dann bin ich innerlich wieder ein bisschen gelassener und friedlicher. Und ich versuche diese Friedfertigkeit auch nach draußen zu tragen. „Der Friede sei mit euch!“ Das war der erste Gruß Jesu an seine Freunde nach seiner Auferstehung. Friede! Das ist die wichtigste Haltung. Für Menschen, die an Gott glauben, und für alle Menschen guten Willens.

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