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Johannistag
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Johannistag

Doris Joachim
Ein Beitrag von Doris Joachim, Evangelische Pfarrerin, Referentin für Gottesdienst im Zentrum Verkündigung, Frankfurt

Ab heute werden die Tage wieder kürzer. Sommersonnenwende. Das hat man schon in vorchristlicher Zeit gefeiert. Am hellsten Tag des Jahres hat man sich daran erinnert, dass es auch die Dunkelheit gibt. Man feierte mit Feuer und Tanz und allerlei Ritualen. Die Christen haben das übernommen. Allerdings haben sie dafür den 24. Juni festgelegt, den Geburtstag von Johannes dem Täufer. Der war ein Verwandter von Jesus. Der Legende nach war er auf den Tag genau ein halbes Jahr älter. Zu seinen Ehren gibt es den Johannistag.

Johannes der Täufer ist so eine Art Vorläufer des Messias Jesus gewesen. Johannes hat Jesus angekündigt als einen, der Licht in die Dunkelheit bringt. So wurde die heidnische Sonnenwendfeier christlich gedeutet: Mit den länger werdenden Nächten wird die Dunkelheit größer. Aber es wird ein Licht kommen, das von Gott ausgeht. Das wird sechs Monate später kurz nach der Wintersonnenwende am 24. Dezember gefeiert, mit der Geburt Jesu.

Beim Johannisfest mischt sich seit dem Mittelalter christlicher Glaube mit heidnischen Bräuchen. Zum Beispiel das Johannisfeuer. Da wurden Heilkräuter im Feuer verbrannt. Das sollte Glück und Segen bringen. Über das Johannisfeuer zu springen, sollte Dämonen und Krankheiten vertreiben.
Johannisfeuer gibt es auch heute. Und immer noch springen Menschen übers Feuer. Dass dabei böse Dämonen vertrieben werden, glaubt heute kaum noch jemand. Es ist eher eine Mutprobe, ein Spiel mit der Angstlust. Der Triumph darüber, einer Gefahr entronnen zu sein, oder auch einfach eine Gaudi. Warum auch nicht. Solange die Sommersonnenwende nicht dazu benutzt wird, um rechtsradikale Ideen zu feiern. Das gibt es leider auch. Da wird nicht fröhlich übers Feuer gesprungen. Sondern da werden unliebsame Bücher verbrannt oder ausländische Flaggen. So geschehen bei heutigen Neonazis. Das hat nichts zu tun mit der Sehnsucht der Menschen nach Licht, nach Gesundheit und Glück. Und erst recht nicht mit Johannes dem Täufer, nach dem das Johannisfest benannt wurde. Wer war er eigentlich?

In der Bibel gibt es einige Geschichten über Johannes den Täufer. Feurige Reden hält er, dieser Prophet in der Wüste. Er ruft zur Buße auf. Die Leute sollen ihre Schuld bekennen, ihr Leben ändern und Gutes tun. Als Zeichen dafür tauft er sie im Jordan mit Wasser. Und die Leute kommen in Scharen. Dabei ist Johannes nicht zimperlich. Statt sich zu freuen, dass sie kommen, beschimpft er sie. „Ihr Schlangenbrut“, ruft er. „Zeigt erst einmal durch eure Taten, dass ihr euch ändern wollt! Die Axt ist schon angelegt. Jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. Und es wird einer kommen, der größer ist als ich. Der wird nicht mit Wasser, sondern mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.“ Offensichtlich liebt es Johannes, vom Feuer zu sprechen. Damit droht er den Gelehrten, den Reichen und den Soldaten. Erstaunlicherweise sagen die nicht: „Was bildet der sich ein?!“ Sie fragen: „Was sollen wir tun?“ Und Johannes sagt den Reichen: „Gebt von eurem Reichtum ab.“ Und den Soldaten: „Seid nicht gewalttätig.“

Johannes war ein sperriger Prophet. In der Bibel wird erzählt: Er war nur mit einem Kamelhaarumhang bekleidet, und er hat sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt. Als Kind hab ich ihn mir vorgestellt mit wildem Blick und wirren Haaren. Und ich hab mich gefragt: Wie hat der das mit dem Honig gemacht, ohne von den Bienen gestochen zu werden? Ich war beeindruckt: Das ist einer, der weder vor Bienen noch vor den Mächtigen Angst hat. Aber ich fand ihn schrecklich streng. Darum war ich froh, dass es da noch die Geschichte von der Taufe Jesu gab.

Jesus kommt nämlich auch zu Johannes an den Jordan. Aber Johannes will Jesus nicht taufen. Er meint: „Es wäre eher umgekehrt richtig, dass du mich taufst.“ Aber Jesus sagt einfach nur: „Lass es jetzt geschehen.“ Und Johannes lässt es geschehen. Er tauft Jesus. Dann wird erzählt: Der Himmel öffnete sich. Der Geist Gottes kam wie eine Taube herab, und eine Stimme sprach: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Danach fängt Jesus an, selbst Bußpredigten zu halten. Aber er tut das anders als Johannes. Sanfter. Liebevoller. Er beschimpft die Leute nicht und droht nicht mit dem Höllenfeuer. Stattdessen geht er zu ihnen hin. Er lebt mit ihnen. Er setzt sich mit ihnen an einen Tisch. Er isst mit ihnen. Mit Leuten, die offensichtlich Sünder sind. Er hat sie lieb. Das ist Jesu Art, die Menschen zu Frieden und Gerechtigkeit zu bringen. Er nimmt sie an, wie sie sind. In einer Hinsicht hat sich Johannes geirrt. Jesus ist nicht noch strenger als er. Im Gegenteil. Er liebt die Menschen bedingungslos.

Ich finde es interessant, dass Johannes nicht zu einem Jünger Jesu wird, obwohl er in ihm den Messias sieht. Beide Arten, zur Buße und Umkehr aufzurufen, stehen in der Bibel nebeneinander. Vielleicht deswegen, weil jemand wie der strenge Johannes immer noch gebraucht wird?

Wie kriegt man Menschen dazu, ihr Leben zu ändern und das Gute zu tun? Helfen Drohungen wie bei dem strengen Johannes? Oder hilft eher die Liebe wie bei dem sanften Jesus? Ich denke: Manchmal braucht eine Gesellschaft auch Leute wie Johannes. Propheten, die aufrütteln. Die sagen: „Gebt von eurem Reichtum ab.“ Und: „Seid nicht gewalttätig.“ Die laut sprechen. Drohend. Eindeutig. Nicht nur nett und freundlich. Aber die Herzen der Menschen ändern sich nicht durch Drohungen. Sondern nur durch Liebe und Achtung. Auch vor denen, die schwierig oder sogar bedrohlich sind.

Ich habe die Bilder von den Feierlichkeiten in Frankreich vor Augen. Vor knapp drei Wochen ist dort in der Normandie an den D-Day gedacht worden. Siebzig Jahre nach der Invasion der alliierten Truppen. Sie waren alle da – die Staatschefs der ehemaligen Feinde. Wir brauchen heutzutage keine Drohungen ewigen Höllenfeuers, um zu verstehen, dass wir für den Frieden sorgen müssen. Sich an die Hölle des 2. Weltkriegs zu erinnern, reicht da völlig aus. Vielleicht war es dieser Schauplatz an der Küste Frankreichs, der zustande brachte, was in den vorangegangenen Monaten des Konfliktes um die Ukraine nicht ging: Die aktuellen Feinde redeten miteinander. Unterkühlt, kurz, nicht sehr freundlich. Aber sie redeten. Denn allen stand die größte Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts mit den vielen Millionen Toten vor Augen.

Zu dem Drohpotential kam noch etwas anderes hinzu. Der französische Präsident Hollande hat den russischen Präsidenten Putin zum Essen eingeladen. Eine überraschende Geste der Versöhnung und ein diplomatischer Drahtseilakt. Auch Politiker ändern ihre Meinung eben nicht nur durch Drohungen, sondern auch durch Freundlichkeit und Achtung. Dass die Politiker miteinander geredet und gegessen haben, hat zwar nicht gleich den Himmel geöffnet. Aber es waren trotzdem besondere Momente. Vielleicht waren es entscheidende Schritte zu einer friedlichen Lösung.

Die Frage, wie man Menschen dazu bringt, das Gute zu tun, lässt sich nicht einfach beantworten. Auch Johannes und Jesus waren nicht immer erfolgreich. Beide sind wegen ihrer Botschaft gestorben. Sie sind den Mächtigen unbequem geworden. Johannes wurde geköpft. Jesus wurde gekreuzigt. Aber Johannes der Täufer selbst hat einen Hinweis gegeben: Er wurde mal gefragt, was er von Jesus hält. Da hat er was Merkwürdiges gesagt: „Dieser muss wachsen. Ich aber muss weniger werden.“ Ich verstehe das so: Die Art, wie Jesus den Menschen begegnet – das ist die bessere. Sie bringt mehr Licht in die Welt. Leute können durch Drohungen zwar aufgerüttelt werden. Aber die Herzen werden nur durch Liebe und Achtung verwandelt. Darum muss der strenge Johannes weniger werden, so wie das Licht nach der Sommersonnenwende abnimmt. Und der sanfte Jesus soll zunehmen wie das Licht nach der Wintersonnenwende. Darum also der Johannistag am 24. Juni. Darum vielleicht auch die übermütigen Sprünge über das Feuer. Wer weiß, ob sie nicht doch gegen die Dämonen von Ungerechtigkeit und Krieg helfen.

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