Funktioniert Beten?
Der 14-jährige Sebastian bleibt nach der Konfirmandenstunde im Gruppenraum. Ich hätte da mal ‘ne Frage, Frau Rudolff, sagt er. Dann schieß mal los, ermuntere ich ihn. Funktioniert Beten, fragt er? Ich blicke ihn erstaunt an. Was soll ich antworten? Sage ich Ja, zählt mir der 14-jährige fünf Beispiele auf, wo Beten nicht funktioniert hat. Sage ich Nein, fragt er mich, warum wir dann in jeder Konfirmandenstunde und jedem Gottesdienst beten.
Ich atme erst mal durch. Wenn du unter Funktionieren verstehst, dass du betest und es dann in Erfüllung geht, sage ich ihm, dann funktioniert Beten nicht. Gott ist kein Wunschautomat. Es nützt nichts, vor der Mathearbeit ein Gebet für eine gute Note zu sprechen, wenn du nicht gelernt hast. Nein, sagt Sebastian, das ist mir klar. Funktioniert beten, wenn ich Gott bitte, dass er meinem Vater hilft? Mit Ja oder Nein kann ich nicht antworten, aber ich kann dir eine Geschichte dazu erzählen und du musst danach entscheiden, ob Beten funktioniert hat.
Als meine Mutter erkrankte, erzähle ich, habe ich oft gebetet, dass Gott sie gesund macht. Mir hat Beten geholfen, weil ich Sorgen und Trauer vor Gott aussprechen konnte. Ich konnte einen Teil meiner Last an Gott abgeben. Gleichzeitig habe ich gemerkt, dass ich mich durch Gebete mehr meiner Mutter zugewendet habe. So habe ich überlegt, was ich für sie tun kann, um ihr die Zeit der Krankheit zu erleichtern.“
Ist dann Beten nur eine Art Selbstgespräch, fällt Sebastian mir ins Wort? Nein, sage ich, Beten ist mehr, als mir eigene Gedanken machen. Jeder Mensch, der betet, vertraut darauf, dass Gott ihn hört und ihm hilft. Hat Gott Ihre Mutter gesund gemacht? Nein, Sebastian, das hat er nicht. Acht Monate später ist sie gestorben. Also funktioniert Beten doch nicht, sagt Sebastian frustriert. Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende, antworte ich. Ich war sehr traurig, als meine Mutter gestorben ist - und auch von Gott enttäuscht. Gott hat meine Mutter nicht gesund gemacht, aber er hat mir geholfen, nach ihrem Tod wieder Freude am Leben zu finden. Das habe ich erkannt und ein Dankgebet gesprochen.
