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Maikäfer flieg!

Maikäfer flieg!

Dr. Anke Spory
Ein Beitrag von Dr. Anke Spory, Evangelische Pfarrerin, Bad Homburg-Gonzenheim

Es ist ein altes Kinderlied.

Maikäfer flieg. Der Vater ist im Krieg.
Die Mutter ist in Pommernland,
Pommernland ist abgebrannt,
Maikäfer flieg.

Die Forscher streiten darüber, ob das Lied in den Kriegen im siebzehnten oder achtzehnten Jahrhundert gedichtet wurde. Weitergetragen wurde es über viele Jahrhunderte und Kriege. Bis heute kennen es sogar eine Menge junge Leute, obwohl letzte Krieg in Deutschland schon seit siebzig Jahren zu Ende ist.

Ein merkwürdiges Lied. Es hat die Melodie eines Wiegenlieds, schlaf Kindlein schlaf. Und gleichzeitig erzählt das Lied davon, dass ein Kind einsam ist. Der Vater ist im Krieg und die Mutter ist irgendwo.

Gewiss hören es diejenigen besonders intensiv, die um den Zweiten Weltkrieg Kinder waren und seine Folgen erlebten. Die Journalistin Sabine Bode hat sich mit den Erfahrungen von Frauen und Männern beschäftigt, die zwischen 1930 und 1945 in Deutschland geboren sind. Sie nennt sie Kriegskinder. Viele von ihnen haben das erlebt, was das Kinderlied erzählt. Der Vater ist nicht mehr nach Hause gekommen, der Bruder, der Onkel sind im Krieg gefallen. Die Mutter ist vielleicht mit den Kindern geflüchtet, musste für Essen sorgen, für das schlichte Überleben. Oft waren diese Kinder auf sich allein gestellt.

Sabine Bode hat ihr Buch „die vergessene Generation“ genannt. Vergessen deshalb, weil erst vor wenigen Jahren das Bewusstsein dafür gewachsen ist, das diese Kriegskinder ein besonderes Schicksal erlebt haben. Dass diese Erfahrungen für ihr Leben geprägt haben. Auch wenn viele kaum darüber sprechen. Gezeichnet sind sie alle, aber einige aus dieser Generation besonders, sie sind von Depressionen geplagt, leiden unter Schmerzen oder Panikattacken. Sabine Bode hat festgestellt, dass es hilft, wenn man einen Raum hat, in dem man diese Erfahrungen teilen kann. Wenn man –manchmal auch das erste Mal- das Gefühl hat: Hier interessiert sich jemand für mich. Hier interessiert sich jemand für meine Geschichte.

Durch dieses Buch höre ich nun anders hin, wenn ich mit jemand aus dieser Generation spreche. Ich ahne etwas von dem, was diese heute 70 oder 80 Jahre alten Menschen durchgemacht haben. Manche erzählen von der Trennung von ihren Eltern, den Aufenthalten bei der Tante in der Schweiz, um wieder zu Kräften zu kommen, den Flüchtlingslagern in Dänemark.

Diese Geschichten helfen mir, etwas von den Widersprüchen zu verstehen, von dem das Maikäferlied erzählt. Es geht um Kinder, die mit dem Wunsch aufwachsen, dass die Welt um sie herum stabil und beständig ist und die doch immer wieder erfahren, dass die Realität anders ist.

Niemand kann diese Erfahrungen rückgängig machen. Aber vielleicht können diese Erfahrungen und Erinnerungen helfen, für Kinder aufmerksam zu werden, die heute vor einem sehr ähnlichen Schicksal getroffen sind. Sei es Flucht, Vertreibung oder Krieg.

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