hr4 ÜBRIGENS
hr4
Wisseler, Till Martin

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Langenselbold

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Kraft von oben

Kraft von oben

Es ist jetzt schon einige Wochen her und es geht ihm auch schon wieder ein wenig bes­ser; gut zu sagen, wäre noch zu viel. Aber er kann den Blick wieder heben – über das Grab hinaus. Langsam ist der Blick fürs Leben wieder da und auch ein wenig Lust. Vor einigen Wochen hatte er seine Frau verloren; die Gefährtin des eigenen Lebens, mit der er so lange unterwegs war. Es war gewiss nicht immer einfach mit einander, aber zu­sammenfassend kann man sagen: Sie konnten sich einander Halt und Heimat geben. Und das sollte jetzt alles nicht mehr sein? Unvorstellbar. Und so reihte sich ein trüber Tag an den anderen.

Dann ereignete sich etwas, was man eigentlich nur aus irgendwelchen Filmen kennt oder aus Heftchen, die man für wenig Geld am Kiosk kaufen kann. Es kam nämlich ein Tag, an dem sich etwas veränderte. Er fasste den Entschluss, genau das Musikinstru­ment zu lernen, was er beim Abschied seiner Frau gehört hatte und was ihm so guttat. Irgendetwas hatte diesen Entschluss ausgelöst, irgendetwas zog und trieb ihn wieder ins Leben. Es fühlte sich gut an. Es fühlte sich an, als sei es ein Geschenk des Himmels. Dabei konnte er sich das gar nicht vorstellen. Vielleicht bei anderen, aber nicht bei ihm.

Gehört hatte er schon davon, von der "Kraft von oben". Und auch davon gelesen: Von den Frauen, die ausgerechnet den Menschen verloren haben, der sie vor so vielen Irr­wegen bewahrt hatte. Für einen kurzen Moment waren sie ihm dann noch einmal be­gegnet, dem Mann Gottes, dem Jesus von Nazareth. Dieser Mann hatte ihrem Leben Sinn gegeben und jetzt sahen sie ihn noch einmal direkt vor sich. Da sagte er zu ihnen: Wartet, bis ihr Kraft von oben empfangen habt. Danach segnete er sie, entfernte sich ein Stück weit und wurde gen Himmel emporgehoben. (Neues Testament, Evangelium des Lukas, Kapitel 24, Vers 49, Übersetzung: www.basisbibel.de) So ist es aufgeschrie­ben in der Bibel. Aber was heißt das schon?!

Die ersten Griffe am Musikinstrument sind jedenfalls gelernt. Mühsam, aber immerhin. Und die ersten Töne klingen ganz gut, fügen sich manchmal schon zu kleinen Melodien. Ob es Himmelsmelodien sind? Naja, wir wollen nicht kitschig werden. Es fühlt sich je­denfalls gut an, das Musikinstrument zu erlernen. Und der Blick geht über das Grab hinaus. Irgendetwas zieht und treibt wieder ins Leben. Gibt es sie am Ende heute auch noch, die Kraft von oben?