Ein alter Altar
Ich glaube, dass ich Deutschland ganz gut kenne. Aber immer wieder stoße ich auf Überraschungen, lerne Neues kennen. In diesem frühen Jahr habe ich das Eichsfeld kennen gelernt, einen abgelegenen, zeitweise abgeschotteten Teil Thüringens. Daran war die innerdeutsche Grenze schuld.
Jetzt sind es viele freundliche, gepflegte Dörfer, und in beinahe jedem gibt es eine eindrucksvolle Kirche, an der eine Geschichte abzulesen ist.
An einem Nachmittag suchte ich den besonders schönen mittelalterlichen Altar in einer Dorfkirche in der Nähe, von dem mir meine Wirtin erzählt hatte.
Es drohte schon dunkel zu werden – aber vielleicht würde ich es noch schaffen und die Kirche wäre noch auf.
Ich hatte Glück. Die Kirchentür war auf und das restliche Tageslicht beschien einen goldglänzenden, holzgeschnitzten Altar, der mich tief beeindruckte. Männer und Frauen, als Heilige verehrt. So viel Harmonie! Der Faltenwurf der Gewänder! Die freundlichen Gesichter der Heiligen! Was für eine prächtige Arbeit! Eine so kleine Gemeinde und ein so wunderbarer Altar! In mir war so etwas wie Ehrfurcht den Menschen gegenüber, die ich gar nicht kannte, aber die das Glück hatten, nicht nur ein solches Meisterwerk zu besitzen, sondern die es auch in Ehren hielten und es pflegten.
Wie gern hätte ich das dem Pfarrer oder einem Kirchenvorsteher, oder einfach einem Menschen aus der Gemeinde gesagt.
An diesem späten Nachmittag klappte das nicht mehr. Aber ich bin ein paar Tage später noch einmal hingefahren, und da traf ich ein Ehepaar – Einheimische – vor der Tür der Kirche, wir kamen ins Gespräch und ich konnte meine Begeisterung loswerden. Und von den beiden erfuhr ich, dass es ganz und gar nicht selbstverständlich ist, hier diesen Altar vorzufinden. Vor rund sechzig Jahren – das ist also noch gar nicht so schrecklich lange her! – da meinte man, dass ein solch alter Altar nun wirklich von einem neuen abgelöst werden müsste. Gott sei Dank hat damals das Geld für eine Neuanschaffung nicht gereicht. Man musste sich mit dem alten arrangieren. Und inzwischen ist der Altar komplett restauriert worden und ein strahlender Mittelpunkt einer kleinen aktiven Gemeinde, die stolz ist, so einen Schatz zu besitzen, einen Schatz, den sie beinahe fortgeworfen hätten.
Die kleine Gemeinde auf dem Eichsfeld ist nicht die erste und wird nicht die letzte sein, die das alte verwirft, weil Neues viel interessanter zu sein scheint. Und geht mir das nicht auch immer wieder einmal so?
Ich glaube, es lohnt sich, dass ich vor dem Fortwerfen noch einmal gründlich darüber nachdenke.