hr2 ZUSPRUCH
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von Winterfeld, Charlotte

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

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Ein Zeichen der Kirche für queere Menschen

Mein Freund Markus hat eine Tochter: Tina. Genauer gesagt: Markus hatte eine Tochter. Jetzt hat er einen Sohn: Tim. Markus, Tina, Tim – die Namen habe ich geändert, aber die Geschichte dahinter bleibt.

Tina merkt, dass irgendwas nicht stimmt

Schon als Kindergartenkind spielte Tina lieber mit Jungen und fand die Klamotten ihres Bruders toll. Ihr bester Freund ist ein Junge, bis heute. Als Teenager wird sie von den anderen Jugendlichen ausgegrenzt, weil sie anders ist. Sie merkt, dass sie irgendwie nicht passt. Warum, weiß sie selbst erst gar nicht so genau. Sie trägt weite Hosen und weite T-Shirts, bloß nichts Figurbetontes. Sie versucht, ihren Körper zu verstecken. Manchmal denkt sie voller Grauen: „Was ist, wenn ich kein Mädchen, sondern ein Junge bin?“ Tina liegt nachts lange wach und weint viel. Sie hat Angst, irgendwas stimmt mit ihrer Existenz so nicht.

In einer queeren Gemeinschaft fühlt sie sich sicher

Ihre Eltern merken, dass es ihr nicht gut geht. Aber sie können die Sache nicht greifen und sind genauso hilflos wie ihr Kind. Bis Tina Anschluss findet in einer Gemeinschaft, wo viele schwul, lesbisch oder transgeschlechtlich sind. Hier kann sie sich austauschen. In dieser Gemeinschaft fühlt sie sich sicher. Sie fängt an, sich anders zu nennen, nennt sich schließlich Tim.

Endlich kann er ein Mann werden

Als Tim eine Ausbildung beginnt und in die Berufsschule geht, weiß er nicht, ob er auf die Damen- oder die Herrentoilette gehen soll. Hier kennt niemand ihn und seine Geschichte. Hier muss er sich neu nach außen präsentieren und erklären, wer er ist. Er outet sich gegenüber einem Freund und legt sich fest: Ja, er ist ein Mann, im Herzen, im Gefühl, in seiner ganzen Identität. Und endlich offenbart sich Tim seiner Familie. Am schwersten fällt es ihm bei seiner Mutter: Denn Tim will ihr nicht wehtun. Aber alle, die Tim näher kennen, reagieren positiv. Sie kennen ja seine Leidensgeschichte über alle die Jahre hinweg. Jetzt geht es Tim viel besser. Er nimmt Hormone und durchlebt eine zweite Pubertät, damit er auch äußerlich wird, was er innerlich schon immer ist: ein Mann.

Jesus ist immer wieder bewusst zu Ausgegrenzten gegangen

Sein Vater, mein Freund Markus, erzählt die Geschichte seines Sohnes auch seinen Bekannten in der Kirchengemeinde. Er fragt, ob die Kirchengemeinde beim Christopher Street Day mitmacht. Und damit ein Zeichen setzt für queere Menschen, also für Menschen, die schwul, lesbisch oder transgeschlechtlich sind. Warum auch nicht? Ich denke: Jesus hätte das auch gemacht. Denn er sieht den Menschen. Oft hat er Grenzen überschritten, die in einer Gemeinschaft selbstverständlich waren. Zum Wohl der Menschen. Jesus ist immer wieder bewusst zu Ausgegrenzten gegangen.

Ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen

Die Kirchengemeinde von Markus entscheidet sich für die Teilnahme am CSD. Das macht Markus sehr glücklich. Seine Kirche bewegt sich. Die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, so etwas wie das Parlament der Kirche, hat in diesem April ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen ausgesprochen. Die Kirche bittet darin um Verzeihung dafür, dass sie selbst in der Vergangenheit dazu beigetragen hat, dass queere Menschen gelitten haben und zurückgesetzt wurden.

Markus sagt: „Ich bin so froh, dass mein Kind seinen eigenen Weg gegangen ist. Ich habe es jetzt endlich mal wieder lachen sehen.“